Wenn ein Dialog heilsam ist

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Wenn ein Mensch in einer seelischen Krise ist, sind meistens auch die Angehörigen davon betroffen. Auch sie müssen sich mit der Situation auseinandersetzen und in ihr zurechtfinden. Die systemische Therapie ist ein Behandlungsansatz, der den Sorgen und Ideen aller Beteiligten Raum gibt – als Einzeltherapie oder auch gemeinsam.
Aber was ist eigentlich die systemische Therapie und Beratung? Inwiefern kann der systemische Ansatz nicht nur Betroffenen, sondern auch Angehörigen helfen? Und was eigentlich dieser Offene Dialog, der in anderen Ländern schon lange mit Erfolg praktiziert wird?

In ihrer Reihe „Kein Mensch ist eine Insel“ spricht Conni mit der systemischen Therapeutin Sarah Berens und ihrer Klientin Tina über die Erfahrungen und Möglichkeiten des systemischen Ansatzes.

Weiter unten findest du einen Themenüberblick (inkl. Zeitstempel) und das Transkript der Folge.

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09:19
Thema: Gemeinsam in die Therapie. Tina beschreibt ihre Erfahrungen mit einer Psychose und die Entscheidung, zusammen mit ihrer Mutter systemische Therapie in Anspruch zu nehmen.

22:02
Thema: Entwicklung der Kommunikation. Tina spricht über die Erkenntnisse aus der Therapie, wie das Verständnis der Psychose und die Verbesserung der Kommunikation mit ihrer Mutter.

34:10
Thema: Schuld und Verantwortung. Diskussion über das Thema Schuld und Verantwortung in der systemischen Therapie.

50:25
Thema: Positiver Ausblick trotz negativer Prognosen. Tina teilt ihre positiven Erfahrungen und Pläne für die Zukunft, trotz der negativen Prognosen, die sie erhalten hatte.

Transkript der Folge

Nele

00:09 – 00:19

Herzlich willkommen bei „Unerhört nah“, dem Podcast des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Wir, das sind einmal ich, Nele

Julia

00:19 – 00:19

und ich, Julia,

Nele

00:20 – 00:36

sprechen offen mit verschiedenen GästInnen über die Erfahrungen und Herausforderungen von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Erlebt mit uns, was es heißt, unerhört nah dran zu sein.

Conni

00:37 – 01:16

Zu Beginn meiner Beiträge, die ich für diese Podcast-Reihe mache und die unter dem Titel stehen „Kein Mensch ist eine Insel“ möchte ich gerne mit meinen Gesprächspartnerinnen mal ergründen, was es eigentlich bedeutet, systemtherapeutisch vorzugehen. Was es also bedeutet, wenn man sich nicht nur in der Therapie auf einen einzelnen Menschen konzentriert, sondern sein Umfeld mit einbezieht, das wollen wir heute mal hier besprechen. Und meine beiden Gesprächspartnerinnen, die kennen sich von so einer Intervention schon eine ganze Zeit lang. Und ja, wäre schön, wenn Sie sich kurz vorstellen schon mal.

Tina

01:18 – 01:36

Ich bin Tina, ich bin Klientin von der Frau Behrens, Kulturwissenschaftlerin und Projektmitarbeiterin und kenne Frau Behrens jetzt schon seit einigen Jahren aus einer vorherigen ambulanten Therapie und bin jetzt seit Januar ungefähr im systemischen Dialog.

Conni

01:37 – 01:42

Gut, wir reden ja noch über den Prozess dann gleich. Frau Behrens, Sie, stellen Sie sich mal vor.

Sarah

01:42 – 01:50

Mein Name ist Sarah Behrens. Ich bin im Grundberuf Sozialarbeiterin und bin tätig als systemische Therapeutin.

Conni

01:50 – 02:13

Also systemische Therapie ist ja so zuletzt zu diesen Leistungen dazugekommen, die von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden, sofern die Therapeutin, der Therapeut approbiert ist. Und ja, von daher denke ich, das wird jetzt so langsam immer mehr auch in Anspruch genommen. Und mich interessiert das eben auch sehr, wie da gearbeitet wird.

Conni

02:13 – 02:25

Vielleicht mal am Anfang dann auch zu Ihnen mit der Frage, was zeichnet diese systemische Vorgehensweise aus? Und wenn Leute kommen, hier, wir wollen eine Familientherapie oder eine Paartherapie oder sowas.

Sarah

02:28 – 03:19

Also die systemische Therapie zeichnet sich schon mal dadurch aus, dass die Menschen nicht als Einzelperson wahrgenommen werden, sondern als eingebunden in diverse Kontexte, ob das Familiensysteme sind, berufliche Systeme, Paargemeinschaften, Freundschaften, mit der Idee, dass wir uns darin entwickeln und darin werden und somit auch in Wechselwirkung zu diesen Systemen stehen. Gleichzeitig geht die systemische Therapie davon aus, dass Menschen, die Schwierigkeiten oder – wie man sagen würde – vielleicht auch Symptome ausbilden, eigentlich, also dass das ein Hinweis ist auf ein aus dem Gleichgewicht geratenes Inneres. Aus dem Gleichgewicht geratene Balance.

Sarah

03:19 – 03:58

Und dass diese Symptome letztlich immer einen Hinweis für einen Mangel oder ein Bedürfnis darstellen. und dass die so lange vorhanden sind, bis es wieder ins Gleichgewicht gekommen ist. Und die Diagnose und das dementsprechende Orientieren daran ist nicht so vordergründig. Und was so an Werten der systemischen Arbeit zugrunde liegt, ist sicherlich die Allparteilichkeit, die Wertneutralität, die Transparenz und absolut die Ressourcenorientierung.

Conni

03:59 – 04:12

Ja. Gut, wir werden das vielleicht gleich noch so ein bisschen aufdröseln. Werden Sie immer von den Betroffenen selbst, also die jetzt eine Diagnose oder ein erstes Anliegen, weil es ihnen nicht gut geht, haben oder auch mal von den Angehörigen engagiert?

Sarah

04:16 – 04:38

Beides ist möglich, beides ist möglich, aber primär sicherlich von Menschen, die sich selber als betroffen bezeichnen würden jetzt und dann ist das aber nicht unbedingt eine Fragestellung, die wir haben, sondern die Frage ist eher, was ist das Anliegen, wohin darf die Reise gehen oder wofür möchten sie die Zeit nutzen. Ja. Gut.

Conni

04:41 – 04:49

Und die Allparteilichkeit heißt, dass auch andere, die dann in dem Kontext mitarbeiten, ihre Anliegen formulieren dürfen.

Sarah

04:49 – 05:31

Und das ist nochmal, wenn ich die Unterscheidung jetzt hier machen kann an der Stelle, nochmal ausgeprägter in der Arbeit im offenen Dialog, weil dort ein besonderes Augenmerk auf der Gleichwertigkeit aller Anliegen liegt. Da ist es von besonderer Wichtigkeit, jeder Stimme sehr genau zuzuhören und zwar in der Art von Wertigkeit, dass wir nicht sagen, wir haben eine Patienten- oder Betroffenenzentrierung, sondern die stehen gleichwertig nebeneinander und die Sorgen eines Angehörigen haben die gleiche Bedeutung wie die Themen einer betroffenen Person.

Conni

05:33 – 06:13

Man muss jetzt vielleicht nochmal so ein bisschen tiefer schürfen, weil viele Zuhörende vielleicht gar nicht so richtig damit anfangen können. Es gibt jetzt die systemische Therapie in der privaten Praxis und dann gibt es eben diesen Open Dialog, der in Skandinavien entwickelt wurde und der auch so im Zuge der aufsuchenden Arbeit sehr oft praktiziert wurde. Und das ist normalerweise, dass sie zu denen nach Hause gehen oder irgendwo einen Ort suchen, wo die Person hingehört auf irgendeine Weise und das Umfeld dann sich mit verabredet und Sie dann erst mal gucken, wie geht es Ihnen allen hier mit der Situation, die wir jetzt versuchen, aus vielen Augen uns anzugucken?

Sarah

06:14 – 06:38

Ja, das ist eine Frage des Kontextes, muss man sagen. Je nachdem, wo der ausübende Mensch, sage ich jetzt mal, gerade tätig ist. Wenn ich jetzt im klinischen Kontext tätig bin, dann ist es so, dass natürlich das der Ort ist und die Menschen, die Menschen einladen können, die ihnen relevant erscheinen für die aktuelle Thematik. Und wenn ich hier im Praxiskontext tätig bin, dann bringen die Menschen die mit.

Sarah

06:38 – 07:19

In besonderen Fällen gibt es Hausbesuche, ist jetzt auch möglich. Im Idealfall hätte man, wenn man sagen würde, wir praktizieren Open Dialog im Sinne, wie es gedacht ist, dann gäbe es eine entsprechende flächendeckende Struktur im Gesundheitssystem, die aktivierbar ist, wo man als multiprofessionelle Teams beim ersten Anruf irgendeiner Person, die sich Sorgen macht, dorthin fährt und diese Menschen bedürfnisorientiert begleitet in einer Teamstruktur. Und zwar so zeitlich flexibel und gleichzeitig in Kontinuität, wie die Familie es jetzt benötigt.

Sarah

07:20 – 08:09

Mit dem Ziel, immer in Netzwerken zu sitzen, immer in Anpassungen, so wie es gerade erforderlich ist, und auch mit der Erfahrung, dass das im Rahmen einer akuten Krise sehr viel sein kann, mitunter täglich, und dass sich das dann ausschleicht und dass das über einen begleitenden Zeitraum von drei bis fünf Jahren nur noch dreimal im Jahr möglich ist, nötig ist, dann das wäre jetzt in der und das werden immer zwei Personen, die werden geschult, das Gespräch dauert 90 Minuten. Es sind Peers dabei und das wäre eine idealtypische Versorgungsstruktur für Menschen, die in seelische Krisen geraten, und zwar sofort und nicht: Melden sie sich in sechs Monaten noch mal!

Conni

08:09 – 08:09

Das machen ja auch die Kliniken mehr und mehr.

Sarah

08:10 – 08:15

Das ist richtig, wenn die sich in ambulante Strukturen rein entwickeln, dann machen die das, genau.

Conni

08:16 – 08:18

Also aufsuchende Arbeit.

Sarah

08:19 – 08:23

Genau. Stäb, genau. Oder Modellprojekte, genau. Da ist das gut möglich.

Conni

08:23 – 08:23

Home-Treatment.

Sarah

08:24 – 08:36

Home-Treatment, genau. Und hier in der Praxis ist es ja so, dass wir eine systemisch-dialogische Praxis haben. Das heißt, da versuchen wir es schon namentlich zu verbinden.

Sarah

08:36 – 08:57

Das Angebot richtet sich in 1-zu-1-Kontakten, also an Einzelpersonen, an Paare, an Familien. Aber im Idealfall bieten wir das Angebot mit zwei ausgebildeten Therapeutinnen an, um genau dieses Setting von einem Netzwerkgespräch anbieten zu können.

Conni

08:57 – 09:17

Jetzt sind wir sehr theoretisch noch, deswegen denke ich, wir gehen jetzt mal schon mal in Ihre konkrete Arbeit, damit man sich daran das jetzt vielleicht auch so ein bisschen anschaulich machen kann. Tina, Sie haben hier quasi Frau Behrens aufgesucht, zusammen mit ihrer Mutter. Warum?

Tina

09:19 – 09:53

Ja, bei mir war das so, dass ich letztes Jahr einen zweiten Schub in der Psychose bekommen habe und danach sehr rätselnd zurückgeblieben bin. Ich hatte eine Zeit lang angenommen, also ich hatte fünf Jahre keine Symptome mehr, weil ich auch die Medikamente durchgenommen habe und dachte, dass ich die dann allmählich absetzen kann. Und dann war es so, dass die Symptome dann wieder aufgetaucht sind, als die Medikamente abgesetzt wurden und dann haben sich so viele Fragen entwickelt.

Tina

09:53 – 10:07

Also ich dachte, ich bin genesen und dann kam heraus, die Psychose ist noch da. Die Psychose bestimmt mein Leben weiterhin. Es waren so viele Fragen in meinem Kopf. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.

Tina

10:07 – 10:23

Ich wollte die Psychose an sich verstehen. Ich hatte mir Fragen gestellt, was die Ursache denn jetzt überhaupt ist. Ich hatte vor fünf Jahren schon den ersten Schub.

Conni

10:23- 10:23

Wie alt sind Sie?

Tina

10:24 – 10:34

Ich bin 34. Vor fünf Jahren war der erste Schub. Und ich hatte da natürlich viel gelernt, auch in der Klinik damals. Da hatten wir ja auch Psychoedukation.

Tina

10:34 – 10:53

Aber es war halt immer alles sehr theoretisch für mich. Und ich konnte es halt nicht greifen. Und ich hatte halt immer so ein bisschen das Gefühl, dass ich nicht wirklich verstehe, warum das aus mir herauskommt und was es quasi auch kommuniziert. Und ja, wir hatten halt irgendwie die Idee, ich habe mit meiner Mutter darüber geredet.

Tina

10:54 – 11:13

Und sie meinte auch, dass sie sich halt sehr hilflos fühlt. Sie hatte sich beim zweiten Mal, war sie halt sehr überfordert und hatte das Gefühl, dass sie mich nicht erreichen kann. Sie hatte immer wieder gesagt, dass es sie überfordert hat, wie anders ich war. Ich wäre wie so eine andere Person gewesen.

Tina

11:15 – 11:33

Und sie hat sich da halt auch ein bisschen mehr Beistand gewünscht. Also, sie hatte auch nie das Gefühl, dass sie so als … als Angehörige ordentlich beraten wurde. Also, sie hatte das Gefühl, dass sie ziemlich viel allein gelassen worden ist.

Tina

11:33 – 11:49

Und irgendwie kamen wir dann auf die Idee, dass wir die Frau Berns noch mal einschalten könnten. Weil wir sie ja kannten aus der ambulanten Therapie von zuvor. Das war, glaube ich, auch vor drei, vier Jahren. Da waren Sie schon mal beide zusammen hier?

Tina

11:49 – 12:05

Nee, ich war da alleine damals. Zu der Zeit war ich alleine bei der Frau Behrens in der ambulanten Therapie. Und das hatte ich halt sehr produktiv in Erinnerung. Also, ich hatte ja auch schon mehrere Erfahrungen in psychologischer Therapie, also Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologischer Therapie.

Tina

12:06 – 12:22

Und die systemische Therapie hat irgendwie immer so hervorgestochen. Und dann haben wir sie einfach mal angerufen, wie das so ist, weil ich wusste ja, dass sie sich selbstständig gemacht hat. Wir sind dann auch übereingekommen, dass wir halt zum ersten Termin einfach mal kommen konnten. Und wir haben dann einfach mal alles so…

Tina

12:24 – 12:49

Ja, rauserzählt, was uns halt so durch den Kopf gegangen ist. Es war alles noch sehr ungeordnet und wir wussten noch gar nicht so richtig, wohin es geht, was wir eigentlich ansprechen wollten. Wir wussten, dass die Beziehung zwischen Mutter und Tochter natürlich entscheidend ist, weil meine Mutter ja die Hauptperson ist, der ich mich ja auch nahe fühle und auch die einzige Person ist, die mich auch am nächsten erlebt im Alltag. Wohnen Sie zusammen?

Tina

12:49 – 13:04

Nee, nee, also ich wohne alleine, aber wir wohnen im selben Ort. Und sie kriegt das schon eher mit, wenn ich mich verändere, wenn irgendwas sein sollte. Und sie hatte auch schon beim zweiten Schub zum Beispiel einige Signale bemerkt. Und wir wollten halt uns beide quasi aufklären.

Tina

13:04 – 13:12

Wir wollten beide auf der sicheren Seite sein. Wir wollten wissen, wie können wir reagieren in Zukunft? Auf einen erneuten Schub. Was können wir tun?

Tina

13:12 – 13:23

Was für Strategien haben wir an der Hand? Und wie können wir die Psychose verstehen? Und deswegen kamen wir auf die Idee, in die Therapie zu gehen. Und ja.

Conni

13:23 – 13:58

Jetzt, was Sie so erzählen, da würden manche Angehörige aus dem Kölner Psychoseforum Sehnsuchtsfall seufzen, dass sie so partnerschaftlich mit ihrer Mutter zusammen sind und offenbar ja auch ziemlich vernünftig mit ihrer Psychose umgehen. Viele, die eine Psychose kriegen, die sehen ja erst mal gar nicht ein, dass sie überhaupt irgendwie was haben. Gab es diese Phase bei Ihnen auch? Und Sie erzählen jetzt halt von einer späteren, aufgeklärten, geklärten Phase oder waren Sie von vornherein ziemlich schnell auf dem richtigen Pfad.

Tina

13:58 – 14:30

Zu dem Zeitpunkt im zweiten Schub war mir das nicht bewusst. Ich war wieder in so einer parallelen Realität im Abdriften und ich hatte auch gar nicht gemerkt wieder, dass es eine parallele Realität ist, dass es wieder so ein Konstrukt ist, was sich da in meinem Kopf langsam aufgebaut hat. Es war auch wirklich ohne Vorwarnung, ohne… Es hat sich so eingeschlichen und meine Mutter hatte das nur manchmal gemerkt, wenn ich mich nicht gemeldet hatte, also dass ich mich zum Beispiel sozial irgendwie distanziert hatte.

Tina

14:30 – 14:51

Ich hatte zum Teil das Bedürfnis, auch mein Handy ganz… Ich hatte das Bedürfnis, auch digitales Detoxing zu machen. Da wurde sie darauf aufmerksam. Wir hatten zu der Zeit nicht so regelmäßig Kontakt. Sie hat gesehen, ich war nicht mehr erreichbar.

Tina

14:53 – 15:16

Sie hat dann auch geahnt, dass das vielleicht so was sein könnte, weil sie das vom ersten Schub kennt, dass ich mich da distanziere und dass ich mich dann einigele und dass halt irgendwas nicht stimmen könnte. Und dann hat sie mich öfter aufgesucht und sie hatte mich dann auch so erlebt. Also sie hat vermutet, dass da was ist, dass sich da wieder was anbahnt. Aber sie hat dann auch gesehen, dass mir das nicht bewusst war.

Tina

15:16 – 15:37

Also ich bin wirklich da in so eine Realität abgedriftet und in diese Psychose-Erlebnisse. Sie hat mich da auch nicht abholen können. Sie hat auch gesagt, wenn das so weitergeht, müssen wir dich wieder einweisen lassen. Sie hatte diese Themen angesprochen, aber halt auf so eine konfrontative Art, die mich sehr in die Ecke gedrängt hat.

Tina

15:37 – 15:58

Es hat mich so… Mir kam dann die Angst hoch, sie will mir jetzt irgendeine Krankheit andichten und ich soll jetzt schon wieder in die Klinik. Und ich hatte halt auch keinen Anlass dazu gesehen. Also ich hatte wirklich selber das Gefühl, mit mir ist doch alles in Ordnung, warum will sie mir eine Krankheit andichten?

Tina

15:58 – 16:27

Dann war das auch so, dass ich dann noch mal erneut eingewiesen wurde. Und ich war dann, als ich die Klinik verlassen hatte und noch mal erneute Medikamente bekommen habe, hatte sich das alles sehr beruhigt bei mir. Und mein Psychiater sagte damals zu mir, sie müssen jetzt davon ausgehen, dass sie jetzt diese Medikamente ihr Leben lang nehmen müssen. Dass es einfach so was ist wie, wenn sie Diabetes haben, dann müssen sie einfach dazu was nehmen.

Tina

16:27 – 16:35

So ist das dann halt. Das ist eine Krankheit. Sie müssen davon ausgehen, dass sie das immer begleiten wird. Ich hab sie akzeptiert.

Tina

16:35 – 16:56

In dem Moment wollte ich aufgeklärt damit umgehen und dachte, ich möchte irgendwas machen, um mich gesund zu halten. Dann dachte ich, es ist gut, wenn ich regelmäßig zur Therapie gehe, wenn mich jemand regelmäßig sieht, einen Arzt. Ich möchte besser begleitet werden von einem Arzt. Dann kam die Idee mit der Frau Behrens, weil ich mich so gut betreut gefühlt hatte.

Conni

16:59 – 17:14

Das ist der Hintergrund, der Sie quasi mit Ihrer Mutter zu Ihnen, Frau Behrens, gebracht hat. Was machen Sie dann, wenn Mutter und Tochter in Ihrer Praxis auftauchen? Wie gehen Sie da vor?

Sarah

17:14 – 17:38

Da muss ich jetzt so sagen, da fehlt uns noch eine Person. Wir waren zu viert, also Mutter und Tochter und meine Kollegin noch dazu. Und das ist jetzt so ein klassisches Setting, wie man es im Open Dialog zum Beispiel gestaltet. Immer in einem Zeitfenster von 90 Minuten mit zwei Moderatorinnen.

Sarah

17:39 – 18:03

Und so würde dann auch das Selbstverständnis sein. Nicht therapeutisch, sondern moderierend. Und das Vorgehen orientiert sich an den Anliegen der hier anwesenden Personen nacheinander. Und das Ziel ist immer die Förderung des Dialogs zwischen den beiden mit der Idee, die kommen ja mit einer Geschichte miteinander.

Sarah

18:04 – 18:33

Da gibt es einen Anlass, warum es wichtig ist, hier zu zweit zu sein jetzt. Und es gibt dann, davon kann man ausgehen, egal wie schwierig das empfunden wird, ganz, ganz viel Verbindendes, sonst kommt man nicht zusammen. Und es gibt ein gemeinsames Bedürfnis, nämlich sich nicht zu verlieren und miteinander das gut durchzustehen. Und das ist ja deutlich spürbar auch.

Sarah

18:33 – 19:14

Und was aber natürlich auch da ist, sind zum einen dieses, Tina hat das beschrieben, dieses Erschrockensein über das eigene Erleben rückblickend betrachtet. Aber natürlich auch die Ohnmacht auf der anderen Seite bei Angehörigen. Und das sind natürlich Phasen, in denen erst mal ein großes Risiko besteht, dass man sich verliert dabei und dass man nicht mehr den Kontakt zueinander, wenn man sich nicht mehr erreicht. Das ist jetzt hier nicht der Fall gewesen.

Sarah

19:14 – 19:47

Es gibt natürlich Phasen, wo auch Dinge passieren, wo man im Nachgang sehr schambesetzt ist oder wo man miteinander einen Umgang hatte, der schwierig war und wo wir dabei begleiten, aus dieser Sprachlosigkeit auch wieder rauszukommen und miteinander wieder in Kontakt zu kommen. Diese Welten, in denen man unterschiedlicherweise war, es hat ja jeder seine, muss man ja sagen. noch mal nebeneinander zu stellen und auch zu würdigen, denn die Gefühle sind ja nun mal auch echt.

Conni

19:47 – 19:59

Dann reden wir doch mal über die Situation, die dann Tina und ihre Mutter so mitgebracht haben und wie haben Sie da das Vorgehen dann irgendwie festgelegt mit den beiden?

Sarah

20:00 – 20:58

Ich glaube, das Anliegen war, wir möchten unsere Kommunikation verbessern, dass wir nicht uns verlieren, dass wir besser verstehen, was wir wollen und letztendlich gab es dazu einen Rückblick auf diese Phasen, die so schwierig waren, und erstmal eine ausführliche Schilderung, wie hat das jeder von beiden erlebt in diesen Phasen. Denn es war erstmal von außen bemerkenswert, wie die beiden überhaupt hier waren und miteinander im Kontakt waren. Und also das ist ja ein großes, großes Zugeständnis oder großes Engagement in die gemeinsame Beziehung zu sagen, lass uns das mal zusammen angucken, wie es uns da gegangen ist. Erfordert durchaus vielleicht auch Mut und ja, das ist doch beeindruckend erstmal.

Sarah

20:59 – 21:39

Und dann wird klar aus der Schilderung der jeweiligen Situation, in welchen unterschiedlichen Ohnmachtsgefühlen sich in dem Fall beide Menschen befunden haben, irgendwie mit dem Gefühl eigentlich oder mit dem Bedürfnis möglicherweise nah beieinander zu sein, aber es irgendwie nicht zu schaffen in der Situation. Und da ist es natürlich wichtig, rückblickend zu verstehen, warum kamen wir nicht zueinander? Was war schwierig und was wäre stattdessen besser gewesen? Und das war der Weg.

Tina

21:41 – 22:02

Ich kann mich erinnern, dass wir zum ersten Mal so ein richtiges Tafelbild gemalt haben. Also wir haben, wie gesagt, so eine Skizze erstellt, wo wir versucht haben zu rekonstruieren, was in der Psychose alles passiert ist. Es hat mehrere Schichten irgendwie freigelegt. Was waren wichtige Schritte oder wichtige Erkenntnisse?

Tina

22:02 – 22:22

Ich habe dadurch gemerkt, was die ersten Anzeichen sind. Das waren bei mir einschleichende Fehlinterpretationen in meiner Umgebung oder in meiner Realität. Ich konnte dadurch die Psychose besser verstehen. Meine Mutter hat zum ersten Mal aus meinem Mund gehört, wie ich die Psychose erlebt habe.

Tina

22:22 – 22:38

Wir haben nie darüber geredet. Für meine Mutter war das eine interessante Erfahrung, sie jetzt zum ersten Mal gemerkt hat, warum ich eigentlich aggressiv war in den Momenten. Also, ich hab ihr erklärt, ich war in … in Momenten von Todesangst, ich hatte Verfolgungsängste.

Tina

22:38 – 23:08

Also, ich hatte in dem Moment eine paranoide Form der Psychose. Und wenn man halt denkt, dass man die ganze Zeit, dass irgendjemand einen umbringen will, und dann schneit jemand zur Tür rein, Angehörige, die dann einen fragen, ja, was ist mit dem Einkauf, kann ich dir beim Einkauf helfen? Dann hab ich sie natürlich … sozusagen dann auch angefahren, weil sie sozusagen auf meine Todesangst quasi eine Normalität aufgebaut hat, die ich nicht beantworten konnte in dem Moment.

Tina

23:09 – 23:31

Also es war so, ich war gereizt, weil ich fand, warum kann sich jemand so normal verhalten, während ich eigentlich eine Todesangst habe? Also wie kann man mich aus so einer Todesangst, aus so einem Konstrukt dann abholen? Und wie können wir so eine Ruhe auch generell finden im Kontakt miteinander? Weil wir uns immer so in so einem Kreislauf befanden, wo wir uns gegenseitig vielleicht so ein bisschen angeheizt haben.

Tina

23:31 – 23:49

Wir haben dann auch im Gespräch mit der Frau Behrens auch so Grenzen abgesteckt, dass wir sagen, wann ist es okay, sich zu melden? Wann sollte ich mich melden? Wir haben uns beiden quasi wie so ein so ein Versprechen gegeben. Wie viele Tage erlauben wir uns, auch mal Ruhe voreinander zu haben?

Tina

23:49 – 24:01

Und ab wann kann sie sich dann einschalten? Ab wann kann sie dann besorgt sein sozusagen? Und ab wann möchte ich dann vielleicht auch mal meine Ruhe haben? Weil man ist ja so überreizt in dieser Psychose.

Tina

24:01 – 24:31

Ich hatte sozusagen auch mit gutem Recht das Bedürfnis nach Ruhe und auch nach Abstand und wollte auch Zeit für mich haben, weil man ist mit diesen ganzen Eindrücken überfordert. Ja, also es ging halt nur darum, dass meine Mutter Angst hatte, dass es schlimmer wird und dass wir nicht wissen, wie es weitergeht. Sie hatte dann öfters, wir haben uns immer schneller in Streitereien verwickelt. Also es war schon so, dass ich meinen Alltag noch bewältigt bekommen habe.

Tina

24:32 – 24:43

Nur ich habe halt durch die ganzen Fehlinterpretationen z.B. vieles auf der Arbeit auch sehr ernst genommen und hatte dann z.B. auch gekündigt. Das war aber glücklicher Weise, ich hatte damals Grundsicherung.

Tina

24:43 – 24:51

Also ich wäre jetzt nicht aus dem sozialen Netz gefallen oder so. Ich war abgesichert. Ich hatte ja auch eine gesetzliche Betreuung. Die habe ich ja schon seit 5 Jahren.

Tina

24:52 – 25:07

Es war nicht so, dass alles aus dem Ruder gelaufen ist. Ich hab quasi nur so einen Nebenjob gekündigt, weil ich mich dann nicht mehr glücklich fühlte. Das hat die Psychose ein bisschen angestoßen. Jetzt im Nachhinein weiß ich, es hatte schon seine Gründe, warum ich da raus wollte.

Tina

25:07 – 25:14

Das war nicht nur die Psychose, sondern es war auch sozusagen… dann auch berechtigt.

Conni

25:14 – 25:23

Also beide haben viel erzählt. Und wie haben Sie das quasi so versucht zu steuern oder irgendwas zu bewirken?

Sarah

25:23 – 25:48

Also tatsächlich ist so doch der Gedanke, wenn die Menschen viel erzählen, dass es immer viel wichtiger ist, das, was wir so zu erzählen hätten. Dass gerade diese Arbeit mit dieser verinnerlichten Haltung des offenen Dialogs, dazu müsste man vielleicht sagen, das ist ja immer nur so abgespeckt. Das wäre mir irgendwie noch wichtig zu sagen. Der offene Dialog ist im Grunde etwas, was strukturell ganz anders aufgebaut ist.

Sarah

25:48 – 26:26

Sie sprachen von Skandinavien, aufsuchende Teams, die dabei sofort tätig werden. Und das zentrale Element dabei ist immer diese bestimmte Form des Gesprächs, man nennt es das Netzwerkgespräch. Und das ist ja im Grunde das, was wir umsetzen können, nur dieses zentrale Element, weil wir diese Struktur hier nicht haben, diese Versorgungsstruktur in der Form. Aber innerhalb dieses Gesprächs ist es eine sehr zurückhaltende Form von Gesprächsführung, die sich sehr wegnimmt und den Raum viel lässt für das, was diese Menschen sich zu sagen haben.

Sarah

26:26 – 27:06

Und das Ziel ist, dass man mehr von der Innenwelt des Anderen versteht. Ein neues Gefühl dafür kriegt, wie viel Vertrauen geht oder wie viel Vertrauen wäre wichtig, damit wir uns nicht verlieren, aber auch eine neue Idee davon zu kriegen, was steckt eigentlich hinter der Vehemenz meiner Mutter, wie viel Liebe ist da eigentlich, wie viel, wie rudert die da, um das irgendwie auszuhalten, aber was ist der gute Weg für beide miteinander, das ist Das ist dann sicher unsere Aufgabe, das zu rahmen und zu halten.

Conni

27:06 – 27:06

Dass sie zu zweit sind, wie macht sich das bemerkbar?

Sarah

27:07 – 27:41

Gut, dass Sie fragen. Also es gibt immer so ein- oder zweimal im Gespräch so einen Moment, manchmal ist es, wenn das Gespräch an sich gerade in so eine Ruhe kommt oder manchmal, wenn man beschließt, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, dann nutzen wir die Tatsache, dass wir da zu zweit sind, um unsere Gedanken laut auszutauschen miteinander. Das ist eine Methode, die stammt ursprünglich von Tom Anderson aus dem Reflecting Team.

Sarah

27:42 – 28:04

Also eine systemische Methode, die dort eben integriert ist. Und es ist die Formulierung unserer Fragen, die uns gekommen sind oder unserer Gedanken, unserer eigenen inneren Berührtheit über das, was wir da erleben. Und das stellen wir zur Verfügung. Und darauf kann man reagieren.

Sarah

28:05 – 28:32

Oder auch nicht. Und in der Regel entsteht was Neues oder nochmal ein anderer Raum wird nochmal betreten damit. Und das Besondere daran ist, dass wir natürlich als zwei unterschiedliche Menschen da sitzen. Somit auch, ich sag mal so salopp, nicht ins gleiche Horn blasen, sondern immer zwei unterschiedliche Ideen kreieren dazu.

Sarah

28:32 – 29:00

Man nennt das Polyphonie, also die Vielstimmigkeit, weil es das ist, was der Welt entspricht auch. Also wir können nicht sagen, so wäre es gut oder das wäre richtig, sondern das ist deren Prozess und wir stellen unsere Gedanken da zur Verfügung. Die Menschen finden ihren Weg dann miteinander da raus. Und das ist sicher auch eine Überzeugung sowohl der Systemik als auch des offenen Dialogs.

Sarah

29:00 – 29:21

Die Veränderung kann nicht von außen passieren, sie kann nur aus innen heraus, aus eigenen Überzeugungen passieren und um mich verändern zu können, muss ich erst gehört sein. Ich kann mich nicht verändern, solange ich das Gefühl habe, ich muss mich noch verteidigen. Und ja, und das ist der Raum.

Conni

29:21 – 29:36

Sie könnten ja auch selbst halt mehrere Ideen in den Raum stellen und dann aber noch zu zweit, wenn das nicht manchmal ein bisschen viel wäre. Tina, wie haben Sie das in Erinnerung? Was hat Ihnen das gegeben oder wie hat das auf Sie gewirkt?

Tina

29:36 – 29:43

Das war ganz und gar nicht zu viel. Also das war eigentlich im Gegenteil. Also meine Mutter und ich, wir waren immer erstaunt.

Tina

29:44 – 30:08

Wir saßen dann da und haben wie gebannt auf die beiden Therapeutinnen geguckt und die haben unsere Probleme aus ihren Mündern nochmal neu formuliert. Und das war so überraschend und das war so erstaunlich auch. Wir dachten, also das, was aus meinem Mund jetzt eben gekommen ist oder aus meinem Herzen, das haben die beiden jetzt nochmal aufgefangen. Also es hat jemand verstanden.

Tina

30:09 – 30:39

Also ich wurde verstanden. Es wurde manchmal sogar neu formuliert und auf eine Weise, die vielleicht für uns dann nochmal so neu war, wo wir dachten, ach ja stimmt, so habe ich das ja gemeint oder so können wir das eigentlich auch sehen und das war sehr respektvoll. Also wir dachten wirklich, also wir haben uns wirklich verstanden gefühlt, gehört und auch wahrgenommen. Und wir hatten das Gefühl, da hat jemand Interesse an unserem Problem.

Tina

30:39 – 30:58

Wir waren wirklich leichter danach und wir hatten wirklich das Gefühl, wow, da wurde uns etwas abgenommen. Ein magischer Prozess. Ja, auf jeden Fall. Also man fühlt sich mehr nochmal wahrgenommen und mehr verstanden und gesehen, weil auch die Beweggründe ja auch verstanden wurden.

Tina

30:58 – 31:07

Wir haben uns auch gegenseitig besser verstehen können, weil wir, wie gesagt, das dann nochmal auf eine andere Weise gehört haben.

Conni

31:06 – 31:07

Gibt es nur gute Beweggründe?

Sarah

31:08 – 31:12

Das müssen Sie konkretisieren, gute Beweggründe für?

Conni

31:13 – 31:36

Weil das jetzt gerade alles so wertschätzend klingt und ist immer alles eigentlich gut gemeint und eigentlich sehr schön, wenn man dahinter guckt und so. Oder gibt es auch mal was Verstörendes oder ich meine jetzt gar nicht unbedingt in diesem Fall, aber weil es jetzt gerade sehr harmonisch klingt, denke ich, manchmal ist man doch vielleicht auch ein bisschen erschrocken als Therapeutin, wenn man bestimmte Sachen hört und wie versucht man das dann irgendwie…

Sarah

31:39 – 32:23

Also, um ehrlich zu sein, in der Haltung des offenen Dialogs arbeiten wir seit zehn Jahren. Wir haben das sehr, sehr verinnerlicht. Die Idee, dass jeder Mensch aus gutem Grund so ist, wie er ist und da hingekommen ist durch Lebensgeschichte, durch Kontext und durch Dinge, die wir noch nicht wissen jetzt. Und diese Idee oder dieses Gefühl, wo man denkt, ich bin erschrocken oder ich bin vielleicht sogar abgeneigt innerlich, erleben wir nicht, seitdem wir diese Haltung so verinnerlicht haben.

Sarah

32:23 – 32:50

Und die Idee ist eher, wenn ich etwas absonderlich finde, dann habe ich es noch nicht verstanden. Dann muss ich mich dem mehr zuwenden. Und wenn ich das tue, dann kann ich anfangen, eine Idee davon zu entwickeln, ein bisschen zu verstehen, wie der Mensch da hingekommen ist, dass er heute so ist oder sich heute so zeigt. Das heißt nicht, dass alles gut ist.

Sarah

32:50 – 33:35

Das will es nicht sagen. Es dürfen durchaus kritische Dinge angesprochen werden, aber es ist uns so verinnerlicht, das auf eine sehr respektvolle Art und Weise zu tun, denn es ist uns wahnsinnig wichtig, dass niemand im Raum das Gefühl kriegt, was Falsches zu sagen und dass niemand beschämt wird. Und das ist unsere therapeutische Aufgabe in diesem Rahmen, also diesen Raum zu schaffen, dass Menschen über Dinge sprechen können, die bisher noch nicht gesagt worden waren. Und aber wenn das gelingt, das ist der Raum, wo sich Menschen wirklich begegnen können, und wirklich innere Türen aufmachen können und sagen, weißt du, so ist das gewesen.

Sarah

33:35 – 33:41

Und das habe ich dir noch nie erzählt. Und dann passieren magische Sachen.

Conni

33:41 – 34:09

Ich hatte von vornherein gedacht, so dieses systemische, also wenn wirklich die ganze Familie in so einen Prozess der Verständigung einbezogen ist, dann kann es doch auch immer sehr gut um Schuld gehen, oder? Also gerade bei den Angehörigen höre ich das manchmal so raus, diese Angst, oh Gott, bin ich da etwa schuld oder sieht mein Kind mich jetzt so, als wäre ich schuld, obwohl ich gar nicht schuld bin, glaube ich. Also ist das irgendwie ein Thema auch?

Sarah

34:10 – 34:32

Ja, das ist auch irgendwie eine ganz, ganz besondere Frage, finde ich, weil die sicherlich sehr vielschichtig ist und weil Schuld sehr vielschichtig ist. Oder das, ich sage jetzt mal, das subjektive Empfinden von Schuld. Es gibt ja sehr verschiedene Arten von Schuld. Wie soll ich sagen?

Sarah

34:32 – 35:19

Also jetzt bin ich selber nicht Mutter, aber ich kann mir vorstellen, wenn man ein Kind hat, was in irgendeiner Form von seelischer Krise erlebt hat, dann kann man das kaum anschauen, ohne sich diese Frage zu stellen, ob das berechtigt ist oder nicht. Aber ich glaube, das passiert Müttern oder Eltern, das glaube ich. Und umso wichtiger ist es für diese Menschen, in dem Fall Eltern, also die willkommen zu heißen einfach und denen Raum zu geben, wo die sich gut fühlen können. Und die Suche nach Schuld, das führt uns immer nirgendwo hin, ehrlich gesagt.

Sarah

35:19 – 35:41

Das ist nicht etwas, was irgendwas löst, glaube ich. Also ob Menschen etwas in sich tragen und sich davon befreien müssen, das ist aus sich heraus, das ist das eine. Aber die systemische Arbeit ist keine, die jetzt da auf die Suche geht. Das nicht.

Conni

35:42 – 35:42

Auch nicht nach Verantwortung?

Sarah

35:43 – 36:03

Das ist ja ein anderes Thema. Ja, genau. Also, wo habe ich, welche Verantwortung trage ich selber, welche die Menschen in meinem Umfeld, wo habe ich eine Verantwortung nicht wahrgenommen, aber auch das wäre etwas, was wir jetzt nicht formulieren würden aus unserer Position heraus.

Sarah

36:03 – 36:25

Das wäre etwas, darüber kann man eine Hypothese erstellen oder einen Gedanken dazu, aber wir sind nicht Richter. Und wieder, wie bereits schon gesagt, auch ein Mensch, der vielleicht eine Verantwortung nicht wahrgenommen hat, ist in einer Situation und ist ein Kind von und ist zu verstehen da drin.

Conni

36:27 – 36:44

Ich habe irgendwo gelesen, Open Dialog heißt deswegen Open, weil es darum geht, neue Einsichten, neue Blickwinkel zu eröffnen, neue Wege, die man gehen kann. Ist das so ein Prozess, wo man danach sucht, nach neuen Deutungen auch?

Sarah

36:47 – 37:02

Unbedingt, ja. Nach neuen BE-deutungen, so könnte man sagen. Und vor allen Dingen, Sie sagen es schon, es ist wirklich ein Prozess. Das ist nichts, wo man hingeht und sagt, wie jetzt ein Coaching. Wir machen mal hier drei Sitzungen und dann ist das erledigt.

Sarah

37:02 – 37:34

Sondern das ist durchaus etwas. was sehr langsam funktioniert und dafür aber tief und nicht im klassischen Sinne zielgerichtet, sondern es ist ein Prozess und die Dinge ergeben sich währenddessen. Man muss ja auch erst mal überprüfen, wo kann ich was sagen. Menschen haben ja wahrscheinlich auch nicht für jedes Thema das Herz auf der Zunge, sondern manches kommt einem auch schwerer über die Lippen als anderes.

Sarah

37:34 – 37:39

Und manches wird erst klarer, indem man da so miteinander sitzt.

Conni

37:42 – 37:51

Was war so, wenn Sie von den Gesprächen hier nach Hause kamen? Wie hat das in Ihnen weitergearbeitet? Haben Sie nochmal sich getroffen und geredet? Ich weiß nicht, in welchen Abständen kamen Sie überhaupt?

Tina

37:54 – 38:10

Ich glaube, wir kamen einmal im Monat. Ja, wir haben eigentlich immer darüber geredet. Also nach jeder Sitzung waren wir immer irgendwie einen Schritt weiter. Wir hatten das Gefühl, dass es unheimlich produktiv war und dass wir unheimlich viel freigelegt haben.

Tina

38:10 – 38:35

Dass wir zum Beispiel in der Psychose auch mehrere Parallelen so gezogen haben auf die Vergangenheit meiner Mutter, also ihre Biografie oder zum Beispiel dann auch meine Kindheitserlebnisse. Wir haben da sehr viele Parallelen entdeckt. Ich habe dann zum ersten Mal von meiner Mutter auch gehört, was sie für eine Vergangenheit hat. Und sie hatte zum ersten Mal was erzählt, was ich noch nie vorher von ihr gehört habe.

Tina

38:35 – 38:51

Und dann hat man ja auch das Gefühl, man lernt auch seine Mutter vielleicht auch nochmal neu kennen. Wir sind richtig zusammengewachsen in dem Prozess. Wir haben uns anders erlebt als sonst. Und wir hatten das Gefühl, dass wir zusammen was durchstehen oder zusammen was erleben.

Tina

38:51 – 39:03

Es war zusammenschweißend. Es war… Wir hatten dann auch alles freigelegt, was ich so erlebt hatte.

Tina

39:03 – 39:15

Ich hab zum ersten Mal auch die Konstrukte an sich auch zum 1. Mal beschrieben. Das war für mich irgendwie sehr erschöpfend. Ich hatte am Ende dieser Sitzung wirklich gedacht, ich fühl mich jetzt richtig nackt.

Tina

39:16 – 39:34

Also ich hatte dann auch das Gefühl, ich könnte mich hinter nichts mehr verstecken. Also keine Bedeutung war jetzt nicht freigelegt. Ja, aber irgendwo war es bereinigend, weil es ja alles raus war. Also ich habe mich zwar nackt gefühlt, aber es war halt alles weg auch.

Conni

39:35 – 39:52

Das klingt jetzt so, als hätten Sie die Psychose dann auch ein Stückchen besser verstanden. Also jetzt jenseits von, ey, da ist was wie Diabetes, was so über mich kommt, sondern von dem Sinn ein bisschen was verstanden.

Tina

39:52 – 39:52

Ja, auf jeden Fall.

Conni

39:53 – 40:10

Ja, jetzt haben Sie mich natürlich ein bisschen neugierig gemacht. Ich will nicht, dass Sie sich jetzt wieder nackt machen, aber dass Sie mir ein bisschen oder den Zuhörenden so ein bisschen einen Eindruck geben, was Sie verstanden haben, auch warum Sie in der Psychose sind oder was Sie da umtreibt. Oder reintreibt.

Tina

40:11 – 40:30

Uh, da könnte man jetzt ganz viel, also ganz weit ausholen. Also, es ist jetzt wirklich… Man könnte sogar da anfangen von der Biografie von meiner Mutter, in welchem Zustand sie war, als sie mich auch als Baby bekommen hat.

Tina

40:30 – 41:07

Da ging es z.B. um die Wende. Also, es ging dann… Meine Mutter hatte ja sehr viel Stress auch zu meiner Zeit, also als ich dann geboren wurde. Und wir hatten da halt überlegt, also, dass da vielleicht auch so ne… Vulnerabilität, dass da so was vorlag und dass mich das vielleicht so stressanfällig gemacht hat. Es ging dann auch zum Beispiel um mehrere Erfahrungen, dass ich… dass man mich loswerden wollte. Also meine Eltern hatten sich getrennt.

Tina

41:07 – 41:32

Dadurch, dass meine Eltern neue Familien gegründet haben, hatte ich immer das Gefühl, dass man mich irgendwie loswerden wollte. Und diese Gefühle des Loswerdens sind dann irgendwann noch mal aufgetaucht bei meinem Exfreund. Und als er mich quasi nicht eingegliedert hatte in seine Familie, kam bei mir so… Vielleicht hat mich das getriggert oder vielleicht hatte mich das erinnert an meine Familienerfahrung.

Tina

41:32 – 41:54

Und irgendwo hatte das so ein Muster aufgedeckt, sodass ich ja zur selben Zeit auch die Psychose wieder ausgebildet hatte. Da hat man sich auch gefragt, vielleicht hat das was angestoßen, so ein tiefes… so eine tiefe Verletzung vielleicht in mir angestoßen. Viele reden ja immer von Traumata, das finde ich immer manchmal zu weit gegriffen bei vielen Dingen.

Tina

41:54 – 42:24

Aber wenn man so verschiedene Verletzungen in sich trägt, die vielleicht manchmal tief sitzen, dass man da vielleicht etwas aufweckt, was dann halt vielleicht auch die Psychose hervorbringen kann. Also, dass die Psychose ein Schutzmechanismus vielleicht auch manchmal ist. Ich fand das jetzt auch schön, was die Frau Behrens gesagt hat, wenn es darum geht, dass Symptome vielleicht ein Ausdruck sind für Bedürfnisse. Dass Bedürfnisse nicht erfüllt wurden.

Tina

42:25 – 42:46

Zu meinem 2. Schub hatte ich wirklich das Gefühl, als hätte sich das so angehäuft. Als hätte ich immer mehr nicht mehr gewusst, wohin mit mir, mit meinen Gefühlen. Ja, bin auch in so eine Depression gerutscht und ich hatte halt auch immer das Gefühl, dass vielleicht so eine depressive Phase vielleicht auch sowas anstößt.

Tina

42:46 – 42:56

Also in meinem ersten Schub hatte das eine große Rolle gespielt. Also tiefe Depressionen gingen einher, auch mit der Psychose.

Conni

42:56 – 42:59

Man könnte ja auch ganz unklinisch sagen, so ein Kummer auch.

Sarah

43:01 – 43:28

Ja, wenn ich darf, das ist ein schönes Wort, weil jetzt ist die Arbeit im offenen Dialog zum Beispiel, oder auch eher in der Systemik, diagnosefern. Das heißt, wir hätten jetzt so die die Ansicht oder die Überzeugung, das Wort bringt uns noch nirgendwo hin. Weder die Psychose noch die Depression. Und was wir sonst noch alles kennen.

Sarah

43:28 – 44:14

Sondern was ist denn das Gefühl dahinter? Sie sagen jetzt ja Kummer, Traurigkeit, was auch immer. Ich habe jetzt gerade nochmal auch mich erinnert, was war es denn so in meiner Erinnerung in der Zusammenarbeit mit Mutter und Tochter und dachte, ich habe so abgespeichert, es gab eigentlich eine große Sehnsucht nach der Mutter, die aber irgendwie schwer kommunizierbar war. Also entfernt von diesem Diagnosesprech ist man eher bei, es sind prinzipiell nachvollziehbare Erfahrungen, mitunter unerträgliche Erfahrungen, die noch nicht Sprache gefunden haben und die sich in einer anderen Art und Weise ausdrücken.

Conni

44:14 – 44:22

Würden Sie noch mal sagen, geht der jetzt weiter der Prozess mit Ihrer Mutter oder haben Sie das Gefühl, wir sind jetzt gerade zufrieden?

Tina

44:24 – 45:10

Wir sind jetzt schon an einem Punkt, wo wir zufrieden sind, wo wir wirklich die Fragen geklärt haben, die uns beschäftigt haben, und wir uns ja auch verständigen konnten auf verschiedene Lösungsmöglichkeiten. Nur, ich würde sagen, uns fehlt vielleicht auch so ein bisschen die Erfahrung, das noch mal zu vertiefen, weil es waren jetzt, glaube ich, insgesamt fünf Sitzungen, die wir hatten. Und man möchte auch so was vielleicht noch mal oft genug vielleicht ansprechen oder oft genug auch nochmal vertiefen, um das wirklich dann zu verinnerlichen. Also ich habe das Gefühl, ich habe viele Sachen noch, ja, wir haben es in diesem Prozess quasi verstanden, aber ich weiß jetzt nicht, ob wir es jetzt zum Beispiel anwenden können, wenn es jetzt soweit ist.

Tina

45:10 – 45:27

Also wir haben uns ja jetzt quasi auf „The worst case“ vorbereitet und jetzt wissen wir, okay, wie können wir jetzt so handeln, wie wir uns das abgesprochen haben. Können wir dann wirklich aus unseren Mustern ausbrechen? Können wir dann wirklich das machen, was wir uns vorgenommen haben?

Tina

45:27 – 45:46

Wir haben jetzt halt schon mal angefangen, uns regelmäßig zu sehen, das hatten wir uns vorgenommen. Dass wir gesagt haben, dass meine Mutter dann nicht plötzlich an meiner Tür steht, wenn sie merkt, dass irgendwas ist. Sondern dass wir halt etwas Regelmäßiges verabreden, wo wir uns sehen. Erst mal, um uns halt, um die Beziehung zu stärken.

Tina

45:46 – 45:49

Und um dann auch dahin wieder zurückzukehren.

Sarah

45:49 – 46:20

Also, es wäre jetzt niemand in der Position zu sagen, in der Zukunft wird das und das… nicht mehr passieren oder in der Zukunft auch das und das auf jeden Fall gelingen. Ich denke aber ja, ihr habt euch ja miteinander in diesen Prozess begeben und ihr seid, ja, konntet euch sehen aus anderen Augen oder mit anderen Augen und seid andere Personen miteinander geworden, die Beziehung ist anders geworden, die, ja, und die Bedürfnisse konnten kommuniziert werden.

Sarah

46:20 – 46:45

Und ich denke, wenn die, also wenn es einen Weg gibt, die besser abzudecken, denen mehr gerecht zu werden, dann halte ich die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es diese starken Phänomene überhaupt noch braucht oder dass die noch mal entstehen, einfach für deutlich geringer.

Conni

46:45 – 47:07

So eine Frage, die ich auch am Ende jetzt unseres Gesprächs noch mal stellen möchte. Wenn ich jetzt gar keine Angehörigen habe oder ein sehr einsamer Mensch bin, kann ich dann trotzdem eine systemische Intervention erbitten? Darum bitten und was habe ich davon?

Sarah

47:07 – 47:20

Genau, das geht auch. Eine systemische Arbeit muss man nicht unbedingt in der Familie machen. Man kann das auch als Einzelperson in Anspruch nehmen. Denn die Arbeit orientiert an Fähigkeiten und Ressourcen und Perspektiven.

Sarah

47:20 – 47:30

Und wo darf es denn hingehen? Das geht ja auch als einzelne Person. Es gibt ein wahnsinnig breites Feld an Methoden, die genutzt werden können. Auch eine innere Aufstellungsarbeit mit inneren Anteilen.

Sarah

47:31 – 47:45

Teams, wir könnten mit Familienbrettern arbeiten, mit Lebenslinien, also mit aller Hand, was möglich macht, Perspektiven zu entwickeln oder Dinge für sich zu verstehen. Das geht ganz wunderbar.

Conni

47:47 – 47:54

Ja, und Open Dialogue? Ich habe den Eindruck, es ist jetzt nicht sehr verbreitet in Deutschland.

Sarah

47:54 – 48:31

Ich würde gerne sagen, nee, das stimmt nicht, denn es gibt durchaus, also Sie finden es in Hamburg, in Berlin, in Bremen, in Leipzig, hier in Freiburg, in Darmstadt, Institutionen bundesweit, in Göttingen bundesweit, die das anbieten. Aber man muss sicherlich mehr danach suchen, denn es ist nicht so etabliert innerhalb der Versorgungsstruktur, so ist es, das stimmt. Allerdings ist es regional nochmal ein bisschen anders etabliert, würde ich sagen.

Sarah

48:31 – 48:44

Meines Wissens nach ist es so, dass es in Hessen bereits auch politisch sehr gewünscht ist, dass Gespräche gemäß des offenen Dialogs geführt werden im Rahmen des BTHG.

Conni

48:45 – 48:54

Also nicht, wenn man in der Klinik ist, sondern wenn man schon wieder raus ist und irgendwie eine Perspektive sucht?

Sarah

48:54 – 49:11

Ja, aber es gibt auch durchaus Kliniken, die Stationen leiten unter diesem Konzept. Und es gibt ambulante Angebote in Leipzig beispielsweise oder auch in anderen größeren Städten.

Conni

49:13 – 49:26

Also gibt es diese verschiedenen Wege, einmal dass man so Open Dialog sucht, vielleicht auch wenn man so kritische Situationen schon mal hatte oder befürchtet, dass es da demnächst mal zukommt, könnte man gucken, wer würde dann eventuell kommen.

Sarah

49:27 – 50:03

Ja, das kann man machen und dann ist das natürlich eine Frage von Regionalität. Allerdings kann man durchaus sagen, es ist nicht idealtypisch, aber wir haben schon auch gute Erfahrungen online gemacht. Das hat sich insbesondere dann angeboten, wenn Familien aus beruflichen Gründen in verschiedenen Städten gewohnt haben und man dennoch in Sorge war um ein Familienmitglied. Das hatte übrigens nochmal den Vorteil, dass das, da erinnere ich mich, da gab es ein Familienmitglied, um das sorgte man sich sehr und man war sehr froh, dass das Familienmitglied überhaupt teilgenommen hat.

Sarah

50:03 – 50:17

Und dieses Familienmitglied hatte den gesamten Gesprächsverlauf die Kamera aus. Das ist natürlich eine Art von Schutz, die man sich jetzt da gönnen kann in so einer Konstellation. Ja, das hat überraschend gut funktioniert. Geht auch.

Conni

50:17 – 50:44

Auch Sie wollte ich noch fragen, so zum Abschluss, Tina. Wo stehen Sie jetzt, in ihrem Leben, also sie hatten jetzt die zweite Psychose und hatten jetzt auch eine relativ negative Prognose mal von diesem Psychiater, dass der sagte, naja, da müssen sie sich jetzt ihr Leben lang drauf einstellen. Aber sie wirken jetzt eigentlich ganz munter und ganz zuversichtlich auf mich. Sagen Sie mal, wo Sie so stehen.

Tina

50:45 – 51:20

Ja, also es war ja so, dass ich auch in der Klinik damals gesagt bekommen habe, dass ich eigentlich meinen Beruf an den Nagel hängen könnte, dass man eigentlich damit nicht arbeiten kann und dass ich eigentlich in meinem Zustand, da könnte ich eigentlich auch nichts mehr erwarten. Und es war also wirklich eine negative Prognose. Und ich kannte auch aus meinem Umkreis nur negative Beispiele, also wie es einfach nur chronisch verläuft und wie man dann einfach im Gesundheitssystem festhängt und auch nicht mehr in die Normalität zurückschafft. Bei mir war das so, dass ich die Medikamente gut vertragen habe.

Tina

51:20 – 51:31

Ich habe die Medikamente auch immer durchgenommen. Ich habe die nie abgesetzt. Dadurch habe ich vielleicht auch normal funktionieren können. Ich fühle mich gesund, wenn ich die Medikamente nehme.

Tina

51:32 – 51:49

Und konnte dadurch auch mein Studium nachholen. In meiner Krankheit musste ich mein Studium abbrechen und hätte nie gedacht, dass ich das zurückschaffe. Ich hab mein Studium wieder aufgenommen, ich hab den Bachelor gemacht. Ich hab dann Nebenjob angefangen.

Tina

51:49 – 52:07

Ich hab immer langsam angefangen und hab einfach geschaut, wie komm ich damit klar. Dann war es auch so, dass ich eine Teilzeitstelle gesucht hab. Jetzt ist es so, ich arbeite ja als Projektmitarbeiterin in einem Projekt an einer Hochschule. Und es erfüllt mich total und ich hätte nie gedacht, dass ich es halt mal in die Normalität zurückschaffe.

Tina

52:07 – 52:23

Also, dass ich wie ein ganz normaler Mensch einfach arbeiten kann und dass ich meinen Alltag bewältigen kann. Ich war ja auch eine Zeit lang in einer Behindertentagesstätte. Ich hatte eine gesetzliche Betreuerin. Ich habe mich wirklich behindert gefühlt, also wirklich ausgegrenzt aus der Gesellschaft.

Tina

52:24 – 52:37

Ich hatte wirklich auch keine Wünsche mehr und auch keine Träume. Und jetzt sprudel ich über vor Bucket Lists und Dingen. Ich möchte reisen und ich möchte digitale Nomadin werden. Ich will remote arbeiten und reisen gehen.

Tina

52:37 – 52:52

Ich möchte von zu Hause arbeiten. jetzt meinen Master berufsbegleitend machen. Das sind so viele Pläne, die ich jetzt habe und die ich auch angehe und ich lasse mich da auch nicht stoppen. Und auch egal, was auch immer so erzählt wird, man kann es schaffen.

Tina

52:52 – 53:17

Also wie gesagt, diese systemische Therapie, die hat mir immens geholfen, auch Muster zu verstehen und dass es nicht so rätselhaft ist und dass es zum Beispiel, viele sagen ja auch, dass es einfach eine rein genetische Krankheit ist. Also ich habe damit viel erfahren, dass es halt sehr wohl ja meine Bedürfnisse sind, die da die Symptome ausgelöst haben. Also man muss natürlich Mut haben. Und klar, es ist vielleicht auch erst mal unangenehm, das jemandem zu erzählen.

Tina

53:18 – 53:25

Aber man kann alles, was man möchte, kann man thematisieren. Und der systemische Dialog ist da wirklich gut geeignet für.

Conni

53:26 – 53:27

Vielen Dank.

Nele

53:32 – 53:47

Das war „Unerhört Nah“, der Podcast für Angehörige psychisch erkrankter Menschen. Dies ist ein Projekt des BApK mit Unterstützung der Barmer Krankenkasse. Hört nächstes Mal wieder rein, wenn wir mit Menschen sprechen, die verdammt nah dran sind.

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