Wenn kein klarer Abschied möglich ist

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Podigee. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Die Gästin in der 4. Folge ist Mandy. Sie spricht mit uns darüber, wie ungeheuer schwierig es ist, als Angehörige einer psychisch erkrankten Person nach deren Tod zu trauern. Sie schildert uns familiäre Konflikte, ihre eigene Überforderung und die damit verbundenen Schuldgefühle. Sie erzählt, wie wichtig es ist, über psychische Erkrankungen zu sprechen. Und sich Hilfe zu suchen.

Weiter unten findest du einen Themenüberblick (inkl. Zeitstempel) und das Transkript der Folge.

Weiterführende Links:

Instagram:

Falls du direkt zu einem Thema in der Folge springen möchtest:

02:52
Thema Familie. Mandy beschreibt, wie sie die Alkoholkrankheit ihres Vaters wahrgenommen hat, einschließlich familiärer Konflikte und ihrer eigenen Überforderung.

14:00
Thema Schuldgefühle. Mandy spricht über Schuldgefühle, die sie nach dem Tod ihres Vaters hatte, und wie Therapie ihr geholfen hat.

23:27
Thema Selbstfürsorge. Mandy beschreibt, wie schwierig es ist, sich als Angehörige um sich selbst zu kümmern. 

Transkript der Folge

Nele
00:02 – 00:10
Herzlich willkommen bei „unerhört nah“, dem Podcast des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Wir, das sind einmal ich, Nele

Julia
00:10 – 00:10
Und ich, Julia,

Nele
00:10 – 00:57
sprechen offen mit verschiedenen Gäst*innen über die Erfahrungen und Herausforderungen von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Erlebt mit uns, was es heißt, unerhört nah dran zu sein. Ja, liebe Zuhörende, wir sind hier heute wieder zusammengekommen, um über ein ganz, ganz wichtiges Thema zu sprechen. Und zwar geht es um Trauer. Und wir widmen uns heute einer sehr persönlichen Geschichte mit der Frage, wie trauert man um einen Menschen, der vor dem Tod psychisch erkrankt war? Wie geht man damit um? Wie war es vorher? Wie ist es währenddessen gewesen? Wie war es danach? Und ja, wir sind ganz gespannt auf die Themen, die uns da heute erwarten.

Julia
00:57 – 01:17
Auch erstmal ein Hallo von mir. Wir begrüßen ganz herzlich heute Mandy, die bei uns in der Jungen Selbsthilfe als Ehrenamtliche sogar in beiden festen Projekten tätig ist. Und erstmal freuen wir uns total, dass du da bist. Und danke, dass du Lust und Zeit mitgebracht hast, dich genau über so ein wichtiges und auch sehr persönliches Thema zu unterhalten.

Mandy
01:17 – 01:19
Ja, sehr gerne. Ich freue mich, dass ich hier sein darf.

Julia
01:21 – 01:44
Mandy, ich würde dich bitten, vielleicht erst mal so ein bisschen zu erzählen, wann dein Vater erkrankt ist, was dein Vater hatte. Dazu gesagt, es geht um deinen Vater heute als erkrankte Person. Wie du das erlebt hast, so ein bisschen chronologisch mal quasi dein Leben ein bisschen dazu erzählen kannst, dass wir so einen Einblick bekommen, was dich da genau bewegt hat.

Mandy
01:45 – 02:30
Ja, also mein Papa war alkoholabhängig und das hat angefangen eigentlich schon als ich ungefähr sechs Jahre alt war, aber damals habe ich das natürlich erst mal auch noch nicht so verstanden, und es ist im Laufe der Zeit auch eher dann schwieriger und schlimmer geworden bei ihm. Und ja, ich weiß gar nicht, vielleicht war ich so 12, 13, als ich dann auch mehr gemerkt habe, irgendwas stimmt hier nicht. Ja, aber es hat auch nie wirklich jemand mit mir darüber gesprochen. Deshalb war ich auch so ein bisschen überfordert damit und wusste nicht wirklich, ja, was ist eigentlich los.

Mandy
02:30 – 02:52
Was auch dazu geführt hat, dass ich auch gar nicht wusste, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll. Genau, und dann irgendwann sind wir dann auch, also meine Mama, meine Schwester und ich, bei ihm ausgezogen. Und dann vor sechs Jahren ist er dann verstorben.

Julia
02:52 – 03:01
Das heißt, kannst du erklären, woran du, gerade wenn du sagst, es wurde gar nicht so wirklich drüber gesprochen, woran du gemerkt hast, dass er alkoholkrank ist?

Mandy
03:03 – 03:48
Also es war zum einen, dass es ständig Streit zu Hause gab, was man als Kind ja schon auch mitbekommt, auch wenn die Eltern erst streiten, wenn man im Bett ist. Aber man liegt natürlich trotzdem wach da und versucht, irgendwas mitzubekommen, um zu wissen, was los ist. Irgendwann habe ich dann auch gehört, dass es um das Thema Alkohol geht. Mir ist das dann z.B. auch bei Urlauben aufgefallen, wenn ich mit ihm allein im Urlaub war, dass er sich auch schon mittags irgendwie Bier gekauft hat und solche Sachen, was ich auch schon ein bisschen merkwürdig fand. Aber auch mit niemandem drüber geredet hab, weil ich auch gar nicht wusste, darf ich das?

Mandy
03:48 – 04:02
Und ja, werde ich dann auch damit irgendwie ernst genommen mit meinen Sorgen? Und nachts bin ich halt auch oft von dem Flaschenklappern aufgewacht. Also da wusste ich schon, okay, da ist irgendwas nicht so ganz richtig.

Julia
04:08 – 04:50
Wir hatten ja ein kleines Vorgespräch schon mal geführt, wo wir das Thema ja festgemacht haben. Und da hatten wir auch schon angesprochen, was ich glaube viele Angehörige psychisch erkrankter Menschen gut nachempfinden können. dass man ja quasi schon oft vorher um jemanden trauert. Obwohl die Person da ist, ist sie irgendwie so ein bisschen nicht da, eben aufgrund der Erkrankung. Und da wäre meine nächste Frage, wie du diese Art Verlust oder diese Art von Trauer erlebt hast. Also, dass du, weiß ich nicht, ich muss sagen, bei mir gab es irgendwann so einen Moment, wo ich gemerkt habe: Krass, ich bin in Trauer.

Julia
04:50 – 05:03
Also das ist Trauer, was ich hier gerade empfinde. Kannst du da irgendwie was zu sagen, wie du das gemerkt hast oder ob du das vielleicht sogar erst nach seinem Tod gemerkt hast, dass es schon vorher so war?

Mandy
05:05 – 05:08
Ich glaub, ich hab das erst nach seinem Tod wirklich gemerkt.

Julia
05:08 – 05:09
Mhm.

Mandy
05:09 – 05:34
Oder da wurde es mir erst so bewusst, weil … ich da dann … ja, oft, wenn ich … wenn ich dann mal mit Menschen darüber gesprochen habe, dann auch gesagt hab, eigentlich hab ich ihn schon viel früher verloren. Und dadurch ist mir das erst so bewusst geworden, weil … ja, den Papa, den ich kannte, mit dem ich irgendwie schöne Sachen erlebt hab und so, den gab’s halt schon lange nicht mehr.

Nele
05:38 – 05:47
Hattest du denn in dieser Zeit vor dem Tod noch viel Kontakt zu ihm? Und wie sah dieser Kontakt dann konkret aus?

Mandy
05:49 – 06:25
Ich hatte nicht so viel Kontakt zu ihm, also meistens nur so an Feiertagen, dass wir ihn dann auch besucht haben. Aber es war halt immer so, dass es meiner Schwester und mir danach immer nicht so gut ging, weil das auch einfach belastend war. Und … ja, ich hab mich auch oft schlecht gefühlt dann, weil ich mir auch dachte, okay … Er hat sich halt dann auch immer Mühe gegeben und dann extra nichts getrunken, für uns aber oft dann noch schlimmer auszuhalten war, weil dann ja diese Entzugserscheinungen kamen und das dann mitzusehen war halt ja wirklich auch nicht angenehm.

Mandy
06:25 – 07:04
Und ja, also es war halt auch so, dass auch Menschen in meinem Umfeld mir gesagt haben, so ja, vielleicht würde es ihm ja besser gehen, wenn ihr mehr Kontakt hättet, was dann auch so Druck gemacht hat und Schuldgefühle, und das war sowas, was eine große Rolle gespielt hat, auch in Bezug auf seinen Tod. Und ja, ich war einfach bis zum Schluss, würde ich eigentlich sagen, dass ich immer so ein bisschen überfordert auch war, weil ich nicht wusste, wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten, weil da auch innerhalb der Familie nicht so wirklich drüber gesprochen wurde und das so ein bisschen verleugnet wurde auch.

Mandy
07:04 – 07:36
Und … Ja, man ja trotzdem, auch wenn er z.B. nicht direkt einem was angetan hat, es ja trotzdem gerade psychisch was mit einem gemacht hat und es belastend war und einen geprägt hat. Und das war dann irgendwie auch immer schwierig, weil es dann auch immer hieß: Hab euch ja nie was getan. Und man ja auch wusste, er freut sich, wenn wir da sind. Aber wenn man gleichzeitig merkt, es tut einem wirklich gar nicht gut, ist das sehr schwierig, weil man sich trotzdem so verantwortlich fühlt.

Julia
07:37 – 08:04
Definitiv. Ich hatte grad so ganz spontan die Frage im Kopf, ob du dich schon damals mit deiner Schwester austauschen konntest. Also, ich glaub, Nele und ich können beide aus eigener Erfahrung sagen, wie wichtig Geschwisterkinder sind. Und dass es ja viele Geschwister auch gibt, die sich nicht so gut verstehen. Aber soweit ich weiß, verstehst du dich ja ganz gut mit deiner Schwester. Und manchmal ist das ja auch so ein Knackpunkt, dass, wenn das Umfeld nicht drüber redet, man wenigstens dieses Geschwisterkind hat oder so, mit dem man sich da austauschen kann.

Mandy
08:05 – 08:44
Ja, das war bei uns leider nicht so, weil, also meine Schwester ist acht Jahre jünger als ich. Und dadurch war sie auch noch recht klein und ich wollte dann auch sie nicht belasten und mir wurde auch immer gesagt von der Familie, ich darf mit meiner Schwester nicht darüber sprechen, weil sie soll das nicht wissen. Und wir haben tatsächlich erst vor ein paar Wochen eigentlich das erste Mal so richtig darüber gesprochen. Und das jetzt … Also, der Tod von unserem Papa ist jetzt sechs Jahre her. Und jetzt haben wir erst das erste Mal so wirklich richtig darüber gesprochen.

Julia
08:44 – 08:44
Krass.

Nele
08:45 – 09:36
Das ist echt kaum vorstellbar, welche Zeit es gebraucht hat, um wirklich auch sich da öffnen zu können. Das hat ja mit Sicherheit aber auch damit zu tun, dass dir oder euch ja wahrscheinlich auch eben immer wirklich gesagt wurde, sprich nicht darüber und das stelle ich mir einfach als unglaublich belastend vor, das nicht zu dürfen, das untersagt zu bekommen und ja ich kann mir vorstellen, dass es einfach sehr gut tut, mittlerweile da für sich selber zu entscheiden und zu sagen, ich kann darüber sprechen, ich muss sogar darüber sprechen, um mir da auch einfach Abhilfe zu schaffen. Ab wann hast du denn grundsätzlich angefangen darüber zu sprechen, also währenddessen gab es da ja vielleicht nicht so viele Leute, wenn ich das richtig verstanden habe, aber wann ging das denn für dich los, dass du entschieden hast, ich kann darüber sprechen und ich sollte es vielleicht sogar tun.

Mandy
09:38 – 10:18
Also in der Therapie hab ich schon recht früh darüber gesprochen, weil ich dann auch so mit 16, glaub ich, die erste Therapie gemacht hab, weil ich eine Essstörung entwickelt hab. Und … ja, das war auf jeden Fall schon auch hilfreich, da so einen Ort zu haben, wo man drüber sprechen kann. Bei Freundinnen fand ich es immer schwierig, weil ich damals so zur Schulzeit dann schon auch die Erfahrung gemacht habe, weil mit psychischen Erkrankungen konnte kaum jemand was anfangen. Da war es schon krass, dass meine Eltern sich getrennt haben und dadurch war es schon so und da war ich vielleicht die zweite in der Klasse, wo die Eltern getrennt waren nur.

Mandy
10:20 – 10:47
Und ja, als ich das dann doch einer Freundin erzählt hatte, war das dann schon auch eher so, okay, wie komisch. Und dann seid ihr als Familie vielleicht auch schuld. Und ja, all diese Vorurteile, mit denen man dann so konfrontiert wird. Und deshalb hab ich dann auch erst recht auch nicht darüber gesprochen. Und … ja, war halt dann auch so sehr geprägt davon.

Julia
10:48 – 11:43
Ich kann mir auch vorstellen, dass leider gerade bei einer Alkoholsucht, dass quasi so dieses Umfeldbeschuldigen ja gemeingesagt der einfache Weg ist. Irgendwie so, ja der greift zur Flasche, weil ihr XY oder so oder weil sich die Frau getrennt hat. Das kann ich gut nachempfinden, bei mir war es so, dass immer auf die Scheidung geschoben wurde. Die Scheidung hat ja stattgefunden und danach gab es die Erkrankung, aber das muss ja überhaupt nicht in einem Zusammenhang miteinander stehen. Und das fand ich auch immer so einen ganz komischen Fokus. Also das kann ich sehr, sehr gut nachempfinden. Mir ging das auch mit Freundinnen so, dass wenn ich halt erzählt habe, dass ein Elternteil von mir erkrankt ist, dann war das, also ich habe alles gehört von, ja, in der Klinik sind ja nur Verrückte, bis zu, wenigstens ist er nicht tot.

Julia
11:45 – 12:14
Mit all dem kann man ja in dem Moment nicht so richtig viel anfangen, weil nichts davon hilft.
Und ich hab mich da auch immer sehr allein gefühlt und hab also quasi, glaube ich, das Gegenteil gefahren. Ich bin dann so sehr progressiv geworden und hab sehr viel drüber geredet, weil ich dachte, ich will daraus kein Geheimnis machen, aber die Erfahrung, so zurückgewiesen zu werden, ist irgendwie, glaube ich, machen viele. Irgendwie auch in höherem Alter, das muss ja überhaupt nichts mit der Schule zu tun haben.

Nele
12:14 – 12:47
Und ich dachte gerade noch mal so daran, das kenne ich auch aus meiner Angehörigenperspektive. Erst mal muss man sich ja, also sich selbst erst mal bewusst zu machen, dass diese Belastung, die man empfindet, wirklich ernsthaft ist, dass man sich damit befassen sollte, dass ich auch damit wichtig bin als nahestehende Person. Das ist erst mal schon der erste Schritt, da muss man hinkommen. Aber wenn einem das dann ja auch noch abgesprochen wird, dann denkt man ja vielleicht auch gar nicht erst recht daran, dass das wichtig sein könnte und dass das ein Thema ist, was mich belasten darf, worüber ich reden muss.

Nele
12:47 – 13:13
Also das stelle ich mir wirklich auch sehr, sehr schlimm vor, da nicht die Möglichkeit und den Raum für zu bekommen, sich da mit anderen Nahestehenden darüber zu unterhalten oder es sogar tot zu schweigen. Das muss wirklich eine sehr, sehr große Belastung gewesen sein. Gibt es denn darüber hinaus noch Menschen im familiären Umkreis, mit denen du dich da jetzt heutzutage darüber austauscht, neben deiner Schwester?

Mandy
13:13 – 13:52
Also aus der Familie direkt gar nicht, weil ich glaube viele auch immer noch sagen würden, er hatte kein Alkoholproblem und dass er auch einfach von der Familie gar nicht mehr thematisiert wird. Vorher wurde die Krankheit, nie darüber gesprochen. Und jetzt wird er als Person auch gar nicht wirklich mehr benannt. Also das verleiht ja wirklich so das Gefühl, er ist jetzt einfach wirklich weg. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes einfach gestorben.

Nele
13:52 – 14:00
Er ist gar nicht mehr wirklich in Gesprächen oder in Gedanken verankert bei einigen dann. Das klingt wirklich sehr drastisch.

Julia
14:00 – 14:38
Ja, das würde mich auch so ein bisschen quasi zur nächsten Frage führen. Also wir steigen jetzt quasi, waren ja schon gerade ein bisschen drin, aber quasi an diesem Punkt eben, wo dein Vater dann wirklich verstorben war. Du hast ja gerade schon angesprochen, ich finde dieses widersprüchliche Verhalten halt so interessant, dass einerseits wird dir nicht erlaubt zu trauern, weil er war ja alkoholkrank, und andererseits wird totgeschwiegen, dass er alkoholkrank war. Und als du mir das im Vorgespräch erzählt hast, hab ich da sehr gestutzt, weil ich dachte, wie passt das denn zusammen? Also wie kann das denn sein?

Julia
14:39 – 14:45
Kannst du da ein bisschen was drüber erzählen, was das genau heißt? Irgendwie anhand von Beispielen oder so?

Mandy
14:46 – 15:32
Ja, also ich muss sagen, mich hat das auch immer verwirrt, weil ich auch immer schon dachte, es passt nicht zusammen. So auch schon vorher, dass uns die Schuld gegeben wurde, aber er eigentlich gar nicht krank ist. Das fand ich schon immer ein bisschen merkwürdig. Und ja, also es war halt gerade so von der engeren Familie dann schon, dass es ja, eigentlich auch schon direkt die Tage, nachdem er gestorben ist, dann auch hieß, ja, aber richtig traurig bist du ja nicht, du hast ja alles mitbekommen und wie das war. Und dann ist es vielleicht ja auch einfach gut so, was einfach auch gar nicht geht, finde ich.

Julia
15:33 – 15:34
Auch gar nicht hilfreich ist, in dem Moment, wo man akut seinen Vater…

Mandy
15:34 – 15:34
Gar nicht.

Julia
15:37 – 15:44
Das kann man vielleicht nach ein paar Jahren sagen, dass man sagt, mein Leid hat vielleicht auch ein Stück weit ein Ende, aber das so von außen …

Mandy
15:45 – 16:44
Ja. Und selbst während der Beerdigung hat ein Verwandter so was zu mir gesagt. Und das fand ich schon auch sehr krass. Und dadurch hab ich mich auch noch mehr alleine gefühlt dann in dem Moment. Und … Es war halt zusätzlich auch viel, wenn dann der Fokus nur auf meiner Schwester, weil sie ja noch jünger war. Und ich bin ja schon älter gewesen, also Anfang 20. Und ja, einfach so dieses, ja, du hast ja alles mitbekommen, wie es war mit seiner Krankheit. Und dann kannst du ja gar nicht wirklich traurig sein. Finde ich auch immer heftig, dass Menschen so, also generell sowas sagen in so einer Situation, aber auch generell sich das Recht rausnehmen zu beurteilen, wie man sich fühlen darf und soll.

Julia
16:45 – 17:37
Ich finde, ein Stück weit würde ich es fast umgekehrt beschreiben. Bei mir ist jetzt kein Todesfall eingetreten. Aber aufgrund dieses uneindeutigen Verlusts auch vorher, nennt sich, Klugscheißerei kommt jetzt, ambiguous loss, also uneindeutige Trauer, die man eben nicht fassen kann, sozusagen. Das kann alles sein. Das bezieht sich gerade bei psychischen Erkrankungen auch darauf, wie eine Erkrankung Menschen verändert. Und dass ich denke, naja vorher hat man ja vielleicht manchmal auch noch Hoffnung gehabt, dass es besser wird, dass man das Verhältnis nochmal hinkriegt, dass er wie in deinem Fall vielleicht doch den Entzug schafft oder irgendwie sowas. Und dieser Tod ist ja dann auch, also sowieso schon Trauer genug, aber quasi auch wirklich der absolute… Danach kann man ja nichts mehr an dem, was passiert ist, ändern.

Julia
17:37 – 17:47
Man kann sich nicht mehr aussprechen. All das ist ja nicht mehr möglich zu diesem Zeitpunkt. Das stelle ich mir eigentlich als besonders traurig vor.

Mandy
17:48 – 18:30
Ja, also vorher hatte ich schon auch immer, auch wenn ich wusste, es ist wahrscheinlich unrealistisch, aber man hofft ja trotzdem, dass es besser wird, dass er trocken wird, dass irgendwie das Verhältnis sich dann auch bessert und man wieder schöne Momente zusammen erleben kann. Und das war halt dann so zunichte gemacht. Und ich finde, das ist halt auch so zusätzlich so diese ganzen Sachen, wo man sich immer denkt, okay. Diese ganzen Sachen, die in meinem Leben vielleicht noch passieren, davon wird er nichts mitbekommen. Er wird nie meinen Freund kennenlernen. Er hat dies nicht mitbekommen, das nicht mitbekommen.

Mandy
18:30 – 18:41
Ich finde, das macht dann auch Jahre später immer noch so eine Traurigkeit, um alles, was verloren gegangen ist.

Julia
18:42 – 19:01
Ja, ich finde so ein bisschen, also das zeigt ja die Vergangenheit und die Zukunft sozusagen. Also er war wahrscheinlich bei vielen Dingen schon nicht dabei, die dir am Herzen lagen, als er noch gelebt hat. Und er wird aber eben auch bei vielen Dingen nicht mehr dabei sein, die jetzt kommen. Also das ist ja auch sehr allumfassend.

Nele
19:04 – 19:36
Ist es denn so, das würde mich jetzt gerade mal noch interessieren, weil ja auch eben öfter der Begriff Schuldgefühle oder Schuld gefallen ist: Hat es dir denn geholfen, also vielleicht auch durch Therapie und auch Gespräche mit anderen Angehörigen vielleicht sogar oder Menschen aus deinem Umfeld, die dir nahestehen, da vielleicht auch die Schuldgefühle abzubauen über die Zeit, die dir vielleicht auch aufgedrückt worden sind, die du dann vielleicht auch selber bei dir gesehen hast? Konntest du da so ein bisschen Erleichterung feststellen?

Mandy
19:36 – 20:20
Insgesamt schon. Also, kurz nach dem Tod war’s auf jeden Fall sehr schlimm mit den Schuldgefühlen, weil ich das dann auch so darauf übertragen hab. Und … ich würde sagen, die Therapie hat mir schon auch geholfen dahingehend. Und … ja, auch mit … jetzt zum Beispiel mit meinem Freund oder meiner Schwester darüber zu sprechen, die dann auch noch mal von außen sagen, so, nee, du hast daran keine Schuld, das ist eine Erkrankung und auch erst recht als Kind hast du keine Verantwortung, da irgendwie zu helfen. Und ja, aber so ein bisschen ist es trotzdem immer noch da, weil es einfach so tief verankert ist.

Mandy
20:20 – 20:27
Und gerade auch, wenn es einem direkt gesagt wurde damals, dann sitzt das halt auch super tief.

Julia
20:30 – 20:55
Ich denke auch dadurch, dass der Tod jetzt eben einfach eingetreten ist, also kann ich mir vorstellen, dass das ja dann auch noch mal besonders, also bis zum Tod quasi, kann man ja noch immer sagen, vielleicht kommt es irgendwann und vielleicht schaffe ich irgendwann den Schritt und dieser Tod ist dann eben, daran ist jetzt nichts mehr zu ändern. Und ich glaube, da geht automatisch ein Gedankenrad los, ob man will oder nicht, in vielen Fällen. Also ich glaube, auch damit bist du nicht alleine irgendwie.

Nele
20:56 – 20:58
Ja, das kann ich mir auch vorstellen.

Nele
20:58 – 21:29
Da bleibt dann wirklich nur noch, da bleibt man dann noch selbst. Und das Gefühl, was man hat, aber diese Hoffnung oder diese Gedanken daran, dass sich etwas verändern könnte, die hören dann auf. Und ich kann es mir nur so vorstellen, dass es dann vielleicht in gewisser Weise auch eine Ruhe reinbringt, wenn man weiß, ich muss jetzt nicht mehr mir Gedanken machen und hoffen und vielleicht auch wieder enttäuscht werden, dass irgendwas passiert. Jetzt bin ich hier mit diesem Gefühl und ich kümmere mich jetzt um mich und um dieses Schuldgefühl, was mir vielleicht aufgedrückt wurde, um all das, was bei mir noch unverarbeitet ist.

Nele
21:29 – 21:52
Dafür habe ich jetzt Raum. Jetzt bin ich so ein bisschen damit dran. Und ja, also stelle ich mir irgendwie so vor, dass man dann vielleicht in gewisser Weise auch auf der einen Seite ein bisschen Ruhe reinbekommt, wenn man dann wirklich diese Zeit hat, sich jetzt um sich zu kümmern, um sich als diese nahestehende Person, die jahrelang so sehr drunter leiden musste.

Mandy
21:52 – 22:21
Ja, weil … Also, auch wenn das immer irgendwie so doof klingt, aber es ist ja schon so, dass … ja, viele belastende Situationen dadurch weggefallen sind. Und viel drüber nachdenken, soll ich mich jetzt bei ihm melden, besuche ich ihn oder nicht? Das hat im Alltag ja schon auch sehr viel Raum eingenommen. Und das ist ja zumindest dann schon auch weggefallen. Aber man hat auch so diese Hoffnung.

Julia
22:23 – 23:07
Ich glaube, eine Angehörige hat mal irgendwann zu mir in so einem Gesprächskreis gesagt, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Und das ist natürlich schon sehr drastisch, aber ich glaube, nach dem, was du gerade auch gesagt hast, kann man das schon ganz gut verstehen, wenn man darüber nachdenkt, was eben alles im Alltag sich dann auch verändert. Allein so Sachen wie, wenn ich mit der betroffenen Person telefoniere, dann ist immer, wie geht’s der gerade? Hör ich aus der Stimme raus, dass gerade irgendwie wieder eine schlechte Phase da ist? Wie klingt das alles? Kriegt die Person irgendwie gerade das Leben auf die Kette und so weiter?

Julia
23:08 – 23:25
Und das allein schon fällt ja einfach in dem Moment weg. Also so traurig das dann ist, aber das hat einfach ein Ende irgendwie. Und das kann ja, glaube ich, und da hänge ich mich jetzt vielleicht auch weiter aus dem Fenster, aber irgendwo ein bisschen was Befreiendes auch haben, so wie das Ganze tut.

Mandy
23:27 – 23:38
Ja, würde ich schon auch sagen. Zumindest wenn man das dann so, wenn so die erste Trauer auch vorbei ist und man das dann so mit Abstand auch so ein bisschen reflektierter betrachten kann.

Julia
23:40 – 24:15
Also ganz klar, ich möchte hiermit nicht sagen, dass ich irgendwie wünsche, dass die betroffene Person verliert, um Himmels Willen, aber ich glaube diesen Gedanken, also gerade wenn ich auch so an Eltern denke, zum Beispiel, ich hatte gestern ein längeres Gespräch mit einer Mutter, die jetzt seit, ich glaube 50 Jahren, sich um ihre erkrankte Tochter kümmert. Und das ist halt, das ganze Leben von ihr liegt auf diesem Kind, weil es ja auch das eigene Kind ist, was ja auch schön ist, dass diese Mutter so engagiert ist. Aber die ist mehrfach für die Tochter umgezogen, damit die überall andocken kann und so.

Julia
24:15 – 24:26
Also es dreht sich wirklich das ganze Leben um dieses Kind. Und das ist natürlich schon auch einfach, schränkt einen ja auch selber ein, irgendwie mit dem, was man halt mit dem eigenen Leben auch machen kann.

Nele
24:26 – 24:51
Ja, und dadurch bleibt dann, finde ich, auch ganz oft so diese Selbstfürsorge einfach auf der Strecke. Man ist mit den Gedanken viel bei der betroffenen Person, ob man jetzt wirklich aktiv unterstützt oder was tut oder auch nicht. Aber man ist ja einfach sehr viel da und dadurch liegt der Fokus weniger auf einem selbst und auf diesen belastenden Gefühlen. Und dem irgendwann mehr Raum zu geben und sich darum zu kümmern. Ich kann mir vorstellen, dass es lange dauert.

Nele
24:51 – 25:40
Du sagtest ja auch, das war nicht direkt, nachdem der Tod eintrat, der Fall. Es hat auch erst mal gedauert. Vielleicht dauert es auch immer noch. Es ist vielleicht auch ein Prozess, der nie aufhört. Ja, daran, finde ich, erkennt man auch noch mal, wie individuell so ein Trauerempfinden auch ist und dass es da keine Zeit für gibt, die irgendwann anfängt und irgendwann vorbei ist. Das kann sich wahrscheinlich ewig ziehen, bei manchen ist sie vielleicht schneller vorbei, dann kommt sie da wieder in Wellen, da zieht es sich das ganze Leben. Es ist sehr unterschiedlich, so dieses Empfinden dafür. Aber sich auf dem Weg dahin dann auch vielleicht ein Unterstützungsnetzwerk aufbauen zu können, erstmal überhaupt zu begreifen, ich kann darüber sprechen, meine Trauer ist total wichtig.

Nele
25:40 – 25:53
Ich muss sie verarbeiten, ich muss darüber reden. Ich habe hier ein gutes Umfeld, mit dem ich das auch kann. Das kann es mit Sicherheit schon etwas leichter machen. So stelle ich es mir zumindest vor.

Mandy
25:53 – 26:38
Ja, also für mich war es auf jeden Fall richtig gut, dass ich eh schon in Therapie war. Ich hatte auch praktischerweise, also er ist an einem Sonntag gestorben und ich hatte immer montags Therapie, das war sehr praktisch. Genau, und ich finde, diese ganzen Gedanken sind aber auch irgendwie sowas, was nur so Angehörige auch irgendwie verstehen können, was so Menschen, die damit gar keinen Bezug haben, gar nicht wirklich verstehen können und wodurch man sich dann auch irgendwie so alleine fühlt, weil ich auch erst, ich glaube auch erst danach, wirklich Kontakt hatte zu Menschen, die auch angehörig sind und auch eher durch Zufall auch erfahren habe, dass es so Angehörigen-Selbsthilfe-Gruppen gibt, wo ich dann so dachte, boah, das hätte mir damals voll geholfen, wenn ich das gewusst hätte.

Julia
26:39 – 26:55
Das wäre dann nämlich noch eine Frage von mir. Bist du dann in irgendwelche Gruppen oder hast du irgendwelche Angebote angenommen, die entweder in Richtung Angehörige oder in Richtung Trauer gehen? Oder hat dich die Therapeutin zum Glück gut genug aufgefangen, um das irgendwie zu stemmen?

Mandy
26:56 – 27:36
Ja, also nur durch die Therapie und ansonsten war ich auch eher so, okay, ich darf nicht trauern, deshalb funktioniere ich jetzt einfach. Und ja, war dann so auch direkt wieder im Alltag, hatte dann irgendwie direkt in der Woche danach Vorstellungsgespräche für Praktika. Musste dann noch schnell wieder zurückfahren, weil es in einer anderen Stadt war, um ihn noch ein letztes Mal sehen zu können, wo ich jetzt im Nachhinein auch denke, okay, was habe ich da getan? Es war vielleicht auch einfach so mein Weg, damit umzugehen, erst mal so zu funktionieren und so ein bisschen zu verdrängen auch.

Mandy
27:36 – 28:15
Weil das ja schon auch schwierig ist, mit so krassen Gefühlen umzugehen. Und ja, ich glaub, es hätte mir bestimmt schon auch gut getan, in irgendwie so eine Gruppe zu gehen und mich mit direkt ebenfalls Betroffenen auszutauschen. Aber zu dem Zeitpunkt war mir das auch gar nicht so bewusst, dass es das gibt. Und vielleicht hätte ich auch gedacht, okay, ich darf da gar nicht hin, weil ich pass da gar nicht so rein. Ist ja nicht so schlimm bei mir. Ich bin ja jetzt schon Anfang 20 und darf nicht trauern. Und ja, dann kam es noch. Ich hab auch wenig geweint.

Mandy
28:15 – 28:45
Auch in der Therapie hatte ich so am Anfang kurz geweint. Da hat meine Therapeutin dann auch mitbekommen, irgendwas ist passiert. Und danach hatte ich auch wieder direkt so ein Lächeln auf dem Gesicht, so als Fassade. Was ich im Nachhinein auch einfach richtig krass fand, das so zu beobachten. Und dann erst so ein Jahr später, da war ich im Ausland. Und dann ja auch irgendwie allein an dem Todestag. Und da hab ich dann zum ersten Mal auch so richtig … dann die Trauer gefühlt und auch so ein bisschen zulassen können.

Julia
28:45 – 28:53
Hat sich das dann entwickelt, dass du das seitdem auch mehr zulassen konntest? Oder fällt dir das bis heute auch wirklich schwer, um ihn zu trauern?

Mandy
28:53 – 29:09
Es fällt mir immer noch schwer. Aber es ist vielleicht schon ein bisschen einfacher geworden. Und ich glaube, dadurch, dass ich letztens mit meiner Schwester darüber gesprochen habe, dass es das jetzt auch noch mal so ein bisschen verändert hat.

Julia
29:09 – 29:25
Das würde mich interessieren, wie es denn dann dazu gekommen ist, dass du jetzt mit deiner Schwester darüber sprichst. Das finde ich so interessant. Der Tod ist sechs Jahre her. Ihr hättet schon viel früher auf die Idee kommen können oder ihr hättet es weiter lassen können. Aber warum ist genau jetzt der Zeitpunkt gewesen, wo ihr damit loslegt?

Mandy
29:27 – 30:20
Das hat sich so, ich würde fast sagen, durch Zufall ergeben, weil es uns beiden auch nicht so gut ging, was wir beide so ein bisschen darauf zurückgeführt haben, dass sein Geburtstag anstand, was blöderweise auch ein Tag nach meinem Geburtstag ist, was immer so ein bisschen schwierig ist. Ja, dadurch war das ja dann auch eh präsenter in unseren Köpfen. Und dann hat sich das so ergeben, dass wir da so ein bisschen mehr drauf eingegangen sind, auch wie es uns damit geht und auch wie wir damals halt den Tod erlebt haben. Und da in unseren Gesprächen kam auch sehr heraus, dass es gut gewesen wäre, wenn wir schon längst darüber gesprochen hätten und wie doof es irgendwie ist.

Mandy
30:20 – 30:58
Zum einen, dass uns gesagt wurde, oder mir gesagt wurde, ich darf mit ihr nicht darüber sprechen. Und dass uns beiden auch nie gesagt wurde, was wirklich los ist. Weil ja, es ist einfach, dass … Auch wenn man vielleicht die Kinder schützen will, das macht es ja irgendwie nur schlimmer, weil man das dann nicht einordnen kann, weil man ja trotzdem merkt, irgendwas ist los. Und dass wir auch beide das Gefühl hatten, nicht trauern zu dürfen. Und wie wichtig das aber ist, es trotzdem zu dürfen. Meine Schwester hat das irgendwie alles ganz alleine für sich reflektiert. Das finde ich immer richtig krass und bin ich auch voll stolz auf sie.

Mandy
30:59 – 31:02
Ich habe das mit der Therapie gelernt.

Nele
31:02 – 31:10
Ich bin gerade so ganz umfangen von diesen Worten und stelle gerne deine Frage, Julia. Vielleicht komme ich dann noch auf etwas.

Julia
31:10 – 31:56
Ich habe auch nur einen kleinen Lesetipp an die Hörer*innen und zwar hat Mandy zu diesen Themen sogar mittlerweile zwei Artikel bei „Locating your soul“ veröffentlicht. Also einmal zu dem Thema „Darf ich noch angehörig sein oder bin ich noch angehörig, wenn jemand schon verstorben ist?“ und aber ja auch einmal zu dem Leben mit deinem alkoholkranken Vater. Und kann ich jedem nur wärmstens empfehlen, wenn man sich für Mandy und die Geschichte und wie gut sie schreibt, interessiert, dann darf man da gerne noch mal nachlesen. Sonst hätte ich nur, bevor wir in die Abschlussrunde kommen, noch die Frage, weil du ja schon jetzt eben auch eine ganze Weile bei uns bist in der Jungen Selbsthilfe, das heißt, du gehst ja eigentlich sehr offen mit all diesen Themen um.

Julia
31:56 – 32:14
Also ich kenne dich da jetzt überhaupt nicht zurückhaltend. Mit deiner Schwester redest du aber erst seit ein paar Wochen darüber. Das heißt, mit wem hast du denn vorher gesprochen, dass du mit uns zum Beispiel relativ einfach schon lange darüber sprechen kannst? Also gab es da Freundinnen oder eben deinen Partner oder so?

Mandy
32:14 – 33:01
Also ich hatte immer das Gefühl, dass ich so mit Menschen aus der Selbsthilfe eher darüber sprechen kann. Weil ich finde, es ist schon noch mal auch schwieriger, mit jemandem darüber zu sprechen, der direkt aus der Familie ist und das auch erlebt hat. Gleichzeitig ist es natürlich, wie ich jetzt gemerkt habe, super hilfreich und heilsam, darüber zu sprechen, weil wir nun mal auch die gleichen Sachen erlebt haben. Ähm, ja, aber ich hatte immer auch so generell, was so psychische Erkrankungen angeht, sei es meine eigenen oder die von meinem Papa, das Gefühl, dass es so, ja, so in der Selbsthilfe, dass man damit dann eher so angenommen wird, weil alle irgendwelche Erfahrungen in dem Bereich gemacht haben.

Mandy
33:01 – 33:49
Und da find ich’s irgendwie einfacher als jetzt so der normalen Person, die man irgendwie so trifft. Und da merke ich nämlich auch, dass mir das immer noch ein bisschen schwerfällt. Was ja auch gerade bei dem Thema für mich eine Rolle spielt, ist, dass ich keinen Alkohol trinke, weil ich das einfach nicht mit mir vereinbaren kann. Und das wird ja schon auch immer kommentiert. Ich hab dann schon auch irgendwann angefangen, den echten Grund zu nennen, in der Hoffnung, dass Menschen das verstehen. Tun sie zwar trotzdem nicht immer. Aber es ist trotzdem immer so ein … leichtes, unwohles Gefühl dabei, weil’s immer noch so tief in mir verankert ist, dieses Du-darfst-nicht-darüber-sprechen und diese Angst vor Stigmatisierung.

Julia
33:49 – 34:34
Und ich glaub, auch viele wollen’s ja auch nicht hören, ne? Also, mir geht das so mit Drogen eben. Also, ich trinke auch mittlerweile keinen Alkohol mehr. Ähm, und grundsätzlich konsumiere ich halt keine Drogen. Und das ist schon was. Also, ne? Wann ist nicht mal auf einer Jugendparty ein Joint rumgegangen, so ungefähr? Und das wurde auch viel kommentiert. Dann finde ich die Waage so schwer zwischen, wie viel gebe ich von mir preis, wie viel will ich eigentlich erzählen. Und gleichzeitig man ist man so ein bisschen die Spielverderberin, weil dann kommt man mit dem harten Thema um die Ecke, was niemand hören will, was aber nun mal eigentlich Realität ist, also dass Alkohol ein Suchtmittel ist, was viel zu viel normalisiert wird, meiner Meinung nach. Also kann ich sehr, sehr gut verstehen, dass das schwierig ist, da den Umgang zu finden.

Mandy
34:34 – 34:59
Aber gleichzeitig finde ich es halt auch wichtig, darüber zu sprechen, weil ich mir zum einen denke, wenn auch früher mehr darüber gesprochen worden wäre, dann wäre es vielleicht für mich auch einfacher gewesen, weil ich mich nicht so allein gefühlt hätte. Vielleicht im besten Fall auch von irgendwelchen Hilfsangeboten gewusst hätte. Und ja, einfach um so ein Bewusstsein zu schaffen.

Julia
35:00 – 35:14
Ich denke allein rein statistisch, du kennst ja die Zahlen von NACOA auch, von der Interessensvertretung suchterkrankter Familien, beziehungsweise der Kinder aus suchterkranken Familien. Ich meine, es ist ja laut denen jedes fünfte Kind oder irgendwie sowas.

Mandy
35:14 – 35:14
Ich glaube ja.

Julia
35:14 – 35:42
Das heißt, wenn man sich deine Schulklasse angeguckt hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch gewesen, dass da mindestens ein weiteres Kind drinsitzt. finde ich dann auch immer ganz spannend, so Jahre später zu merken, so allein war ich noch nie, also von Anfang an eigentlich nicht. Sicherlich, also weiß ich jetzt nicht, kenne ich keine Zahlen zu, aber dass dein Vater eben durch seine Alkoholsucht leider eben auch verstorben ist, wird auch wahrscheinlich nicht der totale Ausnahmefall sein, so traurig das ist.

Mandy
35:43 – 35:46
Nee, er war auch von seinem Alter her genau in der Statistik.

Julia
35:47 – 35:49
Ja, das ist ja traurig, aber wahr.

Nele
35:51 – 36:29
Ja, ich muss sagen, ich hab jetzt gerade gar keine großen Fragen mehr, Mandy. Ich hab das Gefühl, wir haben so ganz viele verschiedene Aspekte dieser Trauer beleuchtet. Und das irgendwie in Verbindung mit deiner persönlichen Geschichte hat mich tatsächlich noch mal sehr berührt. Und ich fand es total stark, wie du darüber gesprochen hast, muss ich wirklich sagen. Ich hatte jetzt dadurch gar nicht den Eindruck, als hättest du es nie gekonnt und nie gedurft. Und ich glaube, das jetzt so zu können, ist mit Sicherheit dann ein harter Weg gewesen, das einfach so, was heißt einfach so, darüber sprechen zu können.

Nele
36:29 – 37:04
Das fand ich wirklich sehr stark. Und ich bin ganz, ganz froh, dass du hier heute bei uns gewesen bist, sowohl uns als auch Zuhörenden, dieses Thema so ein bisschen näher zu bringen und damit vielleicht auch das Gefühl zu verleihen, ihr seid nicht allein damit, ihr diejenigen, die das jetzt vielleicht auch hören, die das in gewisser Weise auch betrifft, auch wenn die Geschichten individuell sind, da irgendwie ein Gefühl zu kreieren, was allen zeigt, ja, ich kenne das, ich bin da schon durch, ich bin da vielleicht schon ein Stück weiter, da bin ich vielleicht auch eher noch am Anfang.

Nele
37:05 – 37:11
Ich glaube, das ist wirklich sehr, sehr schön und wichtig.

Julia
37:11 – 37:38
Ich kann mich auch nur noch bedanken, Mandy. Also ich fand es auch wieder sehr beeindruckend, wie du darüber erzählst. Wie Nele gerade schon gesagt hat, trotzdem, dass du eigentlich gelernt hast, nicht darüber zu sprechen, machst du das wirklich auf eine sehr reflektierte, sehr bewegende Art, also kann man hoffentlich viel von dir lernen, und ich würde dich ganz zum Schluss nur einmal drum bitten, ob dir vielleicht noch was einfällt, wo du sagst, das würdest du den Hörenden gerne mitgeben.

Mandy
37:42 – 37:49
Etwas, was jetzt vielleicht auch schon in dem Gespräch rauskam. Ihr dürft euch Hilfe suchen und ihr dürft mit Menschen darüber sprechen.

Julia
37:49 – 38:17
Und damit sage ich danke Mandy, danke Nele, dass wir das zusammen machen dürfen hier. Danke an den BApK und danke an die Zuhörenden, wenn das hier dann online geht. Das war „Unerhört Nah“, der Podcast für Angehörige psychisch erkrankter Menschen. Dies ist ein Projekt des BApK mit Unterstützung der Barmer Krankenkasse. Hört nächstes Mal wieder rein, wenn wir mit Menschen sprechen, die verdammt nah dran sind.

Beitrag teilen

DER NEWSLETTER ZUM PODCAST

Authentisch, tiefgründig und bewegend.

Mit unserem Newsletter bist du wirklich „nah dran“ und kannst Wünsche äußern, mitdiskutieren und Themen einbringen. Einmal im Monat kündigen wir die neue Podcast-Folge an und bieten vertiefende Infos zu dem jeweiligen Thema und den eingeladenen Personen. Wir freuen uns über deine Anmeldung!

Nach oben scrollen