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Mehr InformationenConni Schäfer hat Herrn Dr. Hannig interviewt. Herr Hannig war Vorstandsvorsitzender des BApK und setzt sich schon länger politisch dafür ein, dass es eine prägnante Nummer für psychische Krisen geben soll.
Wenn wir uns ein Bein brechen, rufen wir die 112 an. Wenn wir Gewalt erleben, rufen wir die 110. Doch wen rufen wir an, wenn ein Mensch einen akuten psychotischen Schub erlebt? Dafür gibt es in Deutschland noch keine einheitliche kurze Nummer, die auch noch passend geschult ist. Conni unterhält sich in ihrer zweiten Sonderfolge von „Kein Mensch ist eine Insel“ mit Dr. Rüdiger Hannig, Vorstandsvorsitzender des BApK. Er fordert die 113 für die psychische Krise. Warum diese nicht nur für psychisch erkrankte Menschen, sondern auch für die Angehörigen essentiell ist, wie der aktuelle Stand ist und was noch zu tun ist, erzählt er in dieser Folge.
Weiter unten findest Du einen Themenüberblick (inkl. Zeitstempel) und das Transkript der Folge.
Weiterführende Links:
Artikel zur 113:
https://www.bapk.de
https://www.sueddeutsche.de/wissen/notruf-psychische-krise-112-113-notfaelle-1.6262268?reduced=true
Initiative 113 des BApK:
https://www.bapk.de/themen/113-die-bundesweite-krisennummer.html
Instagram:
@familienselbsthilfe_
@peer4u_chat_beratung
@locating.your.soul
Falls du direkt zu einem Thema in der Folge springen möchtest:
00:54 – 01:40
Dr. Hannig spricht über die Notwendigkeit, Verbündete zu suchen, sowohl im familiären als auch im politischen Umfeld, um die Herausforderungen psychischer Erkrankungen zu bewältigen.
04:17 – 06:24
Dr. Hannig beschreibt, wie sich die Lebensplanung von Angehörigen verändert, wenn ein Familienmitglied psychisch erkrankt, und die emotionalen Herausforderungen, die damit verbunden sind.
12:19 – 20:26
Dr. Hannig spricht über die politischen Anliegen des BAPK und die Notwendigkeit, Angehörige in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Wünsche der Angehörigen an das System, einschließlich der Forderung nach niedrigschwelligen Krisendiensten und besserem Entlassmanagement.
27:00 – 42:39
Die Idee einer bundesweiten Krisenhotline (113) wird vorgestellt, um Angehörigen und Betroffenen in Krisensituationen schnell und anonym Hilfe zu bieten.
Abschluss des Gesprächs mit einem Ausblick auf die Erfolge des BAPK und die Herausforderungen, die noch vor uns liegen. Dr. Hannig betont die Wichtigkeit der Mitwirkung von Angehörigen in der Politik und der Versorgung psychisch erkrankter Menschen.
Transkript der Folge
Nele
00:02 – 00:10
Herzlich willkommen bei „Unerhört nah“, dem Podcast des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Wir, das sind einmal ich, Nele
Julia
00:10 – 00:10
Und ich Julia
Nele
00:10 – 00:24
sprechen offen mit verschiedenen Gäst:innen über die Erfahrungen und Herausforderungen von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Erlebt mit uns, was es heißt, „Unerhört nah“ dran zu sein.
Julia
00:24 – 00:48
Heute kommt eine Folge mit Conni. Sie spricht mit Menschen, die sich gesellschaftlich für Betroffene und Angehörige engagieren. Das folgende Gespräch wurde im Herbst 2024 aufgenommen. Damals war Rüdiger Hannig Vorstandsvorsitzender des BApK. Im Dezember trat er zurück. Er unterstützt uns weiterhin und ist im Landesverband Schleswig-Holstein als Vorsitzender sehr aktiv.
Conni
00:54 – 01:16
Hallo, mein Gesprächspartner heute ist Dr. Rüdiger Hannig. Er ist Vorsitzender des BApK, des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Und steht, wie ich finde, eigentlich sehr gut für das Motto meiner Beiträge zu dieser Podcast-Reihe, kein Mensch ist eine Insel. Was fällt Ihnen vor dem Hintergrund unseres Themas dazu ein, Herr Hannig?
Dr. Rüdiger Hannig
01:18 – 01:39
Da fällt mir ein, dass man die Probleme nicht selbst lösen kann, sondern dass man Verbündete suchen kann. Das gilt sowohl im familiären Umfeld, wenn jemand psychisch erkrankt ist, aber das gilt natürlich auch im politischen Umfeld als Verband, dass man nur dann wirksam ist, wenn man möglichst mit vielen anderen zusammen in eine Richtung arbeitet.
Conni
01:40 – 02:03
Und kein Mensch ist eine Insel, das scheint mir ja auch ein bisschen auf die Situation von Familien zuzutreffen. Also wenn ein Mensch in der Familie oder ein enger Freund, eine enge Freundin erkrankt, betrifft das immer mehrere Menschen. Wie nehmen Sie das wahr? Wie nehmen Sie das auf aus eigenem Erleben, aber auch aus Gesprächen mit anderen Angehörigen?
Dr. Rüdiger Hannig
02:04 – 03:09
Ja, zum einen ist es doch so, dass man zu Beginn verinselt. Man erlebt als Angehöriger, dass nicht überall auf Verständnis gestoßen wird und das Beziehungsgeflecht, das man vorher hatte, anfängt sich zu reduzieren. Und in der Dauer der Erkrankung eines Angehörigen lernt man dann aber neue Beziehungen auszubilden, hoffentlich. Ich erlebe aber auch immer wieder in Angehörigengruppen, dass die Angehörigen auch stark vereinsamen und zur Insel werden. Und das Thema ist dann immer wieder: Wie ist es möglich, neue soziale Kontakte aufzubauen? Und eine dieser Möglichkeiten stellt aus meiner Sicht die Selbsthilfe dar, dass man in Selbsthilfegruppen andere Menschen trifft, dass man in Selbsthilfegruppen lernt, miteinander zu reden und sich nicht zu verstecken und die Thematiken zu verstecken.
Conni
03:11 – 03:27
Das hat ja sicher, also dieses Inselwerden oder zu verinseln, schöner Begriff, hat ja auch damit zu tun manchmal, dass man sich schämt, also dass man das gar nicht so teilt, diese Erfahrung. Oder ist das heute gar nicht mehr so? Wie erleben Sie das in Angehörigenkreisen?
Dr. Rüdiger Hannig
03:29 – 04:16
Ja, viele Angehörige haben Selbstzweifel. Viele Angehörige geben sich zu Beginn die Schuld an der Thematik. Da muss man dann klarkommen mit. Aber wenn man das Gefühl hat, schuldig an dem Zustand zu sein, dann wird es auch schwierig, darüber mit anderen zu sprechen. Ich denke aber, die Barriere und das Verständnis, dass man schuld ist, das sinkt ab. Man lernt oder sollte mittlerweile gelernt haben, dass das eine Krankheit ist wie jede andere. Auch wir können nicht Einfluss nehmen auf die Erkrankungen anderer Angehöriger. bis auf Ausnahmefälle natürlich. So muss man psychische Krankheiten sehen, und dann ist das Thema der Schuld im Regelfall auch beseitigt.
Conni
04:17 – 04:31
Vielleicht beschreiben Sie mal, was das bedeutet, aus eigenem Erleben oder aus dem Miterleben von anderen, die berichtet haben, wenn ein Mensch in der Familie psychisch erkrankt.
Dr. Rüdiger Hannig
04:33 – 05:21
Ja, es verändert die Lebensplanung. Man hat gewisse Vorstellungen darüber, wie das familiäre Leben vorangehen soll, wie die Zukunft sein sollte, sein könnte. Und möglicherweise von einem Tag zum anderen ist diese Zukunftsvorstellung weg. Und man muss zu einer neuen finden. Das tut man nicht gleich am Anfang. Es fängt damit an, dass man sagt, die psychische Erkrankung geht gleich vorüber. Aber dann stellt sich heraus, dass sie doch langanhaltender ist. Und dann muss man doch spätestens anfangen, die Lebensplanung wirklich zu verändern. Und das tut weh. Das ist ja nicht eine freiwillige Veränderung, sondern das wird einem durch eine erkrankte Person quasi aufgezwungen.
Dr. Rüdiger Hannig
05:21 – 06:04
Da ist man auch nicht immer glücklich, sieht das nicht immer als Bereicherung. Sieht das in gewissem Sinne auch als Zwang und Gewalt an, die Umstände. Man ist wütend, man ist traurig. Also alles, was auch zu Trauerprozessen gehört, tritt ein. Und wir versuchen auch in angehörigen Gruppen immer wieder zu vermitteln, dass wenn eine schwere psychische Erkrankung ausgebrochen ist, dass der Mensch ein anderer wird, der Erkrankte. Also das heißt auch, man muss Abschied nehmen von den Idealen und Planungen, die man gegeben hat, oder Projektionen. die man gegebenenfalls in den erkrankten Mensch vorher reingesteckt hat. Also ganz besonders trifft dies Kinder.
Dr. Rüdiger Hannig
06:04 – 06:22
Wer ehrlich ist, ich muss sagen, als Elternteil hat man Vorstellungen, wie sich die Kinder entwickeln könnten. Und wenn das dann nicht mehr so ist, dann muss man sagen, man muss das Kind neu erfinden, neu akzeptieren lernen und so was. Und das ist halt ein nicht ganz einfacher Prozess.
Conni
06:24 – 07:08
Ich moderiere ja in Köln das Psychoseforum mit und da sind ja oft Angehörige, die ihre Nöte schildern. Ich habe so den Eindruck, dass die Not auch dadurch entsteht, dass es zwar in gewisser Weise eine Krankheit ist wie jede andere, aber in gewisser Weise auch manchmal ein bisschen komplizierter wird. Bevor man jetzt eine Diagnose hat, zumindest, verändern sich manchmal Beziehungen. Irgendwie verändert sich die Atmosphäre. Man ist verunsichert, was ist los? Man wird vielleicht mit Vorwürfen überzogen oder merkt, irgendwas stimmt nicht. Das verunsichert so sehr. Auch Unterstellungen passieren. Also, das zerrüttet, kann ja manchmal sogar die Verhältnisse oder die Beziehungen auch zerrütten.
Conni
07:08 – 07:17
Das ist ja noch mal was anderes, weiß ich nicht, als wenn jemand Diabetes hat, wird ja immer gerne als Parallele herangezogen. Bekommen Sie das so nicht geschildert?
Dr. Rüdiger Hannig
07:19 – 08:01
Ja, viele Entwicklungen laufen ja schleichend. Wenn man dann in den Selbsthilfegruppen sich unterhält, dann wird immer wieder erzählt, vor Jahren war schon das und das, aber das habe ich so nicht interpretiert, das habe ich so nicht gesehen. Wenn es um Kinder und Jugendliche geht, dann wird vieles in dem Erwachsenwerdenprozess subsummiert. Also das gesagt wird, das wächst sich noch aus, das ist die Pubertät und dergleichen mehr. Und es ist schwierig zu entscheiden, was ist Pubertät, was ist nicht Pubertät. Wir sind ja keine Fachleute, wir sind Angehörige. Wir haben unsere ganz normalen Erfahrungen und der Erfahrungsschatz reicht nicht aus, vielleicht an manchen Stellen Gott sei Dank nicht aus, weil manches ja auch wieder vorüber geht.
Dr. Rüdiger Hannig
08:01 – 08:43
Aber an anderen Stellen zu sagen, das ist nicht vorübergehend und sowas, das ist was Langanhaltendes, da muss jetzt externe Hilfe gesucht werden, das ist dann noch ein großer Schritt. Also gerade die Suche nach externer Hilfe, jemanden dritten einzubeziehen, der gegebenenfalls auch eigene Interessen und eigene Vorstellungen in das System hineinbringt, das ist dann schon ein großer Schritt. Das macht man nicht einfach so, sondern da gehen Überlegungen, sind Überlegungen im Vorfeld, Barrieren, sage ich mal, die erst überwunden werden müssen. Ich glaube, dass die Barrieren kleiner geworden sind, niedriger geworden sind, dass man sich schneller öffnet und schneller externe Hilfe holt.
Dr. Rüdiger Hannig
08:45 – 08:46
Ich hoffe es zumindest.
Conni
08:46 – 08:48
Also von Angehörigen oder auch von Betroffenen.
Dr. Rüdiger Hannig
08:50 – 09:39
Betroffene möglicherweise auch selber. Dass Betroffene selber sagen, es ist irgendetwas komisch mit mir, aber häufig sind die Prozesse ja schleichend. Und was für einen externen Dritten vielleicht offensichtlich ist, ist für einen selber, sowohl für Angehörige als auch Betroffene, wenn sich die Prozesse schleichend verändern, gar nicht so sichtbar. Also, es ist halt anders. Man verhält sich halt anders, und dann ist das so. Ja. Und irgendwann kommt man halt nicht klar. Man fängt an nachzudenken. Man erklärt sich manches. Man holt andere Umstände von außen heran, andere Ereignisse, die das erklären sollen. Oder man verklärt das Ganze.
Dr. Rüdiger Hannig
09:39 – 09:49
Und irgendwann reicht dieser Schatz der Verklärungen halt nicht mehr aus. Und die Störung, Erkrankung, Besonderheit bricht halt hervor.
Conni
09:51 – 10:08
Bei uns wird dann im Psychoseforum oft berichtet, dass es so schwierig ist, gerade eben, wenn es jetzt schon eigentlich auch Erwachsene oder erwachsen werdende Kinder betrifft, die jetzt an Hilfe heranzuführen. Das ist einfach eine große Not. Wie kann denn so ein guter Umgang aussehen?
Dr. Rüdiger Hannig
10:09 – 11:09
Das ist schwierig. Wir bieten ja nie Lösungen an. Das hängt von jedem selber ab, was akzeptiert wird, was er meint, was er verkraften kann. Es ist ja ein Verhandlungsprozess. Jede Beziehung ist ein Verhandlungsprozess. Und das ist sehr individuell. Auch die Beziehung bleibt ja nicht gleich. Ich denke, das, was man in den Selbsthilfegruppen finden kann, sind Lösungsideen, Lösungsansätze bei anderen, auch Lösungen, die gescheitert sind bei anderen, die vielleicht in der Persönlichkeit der anderen Menschen liegen. Also, dass man sich austauschen kann, aber jeder muss dann selber sehen, welche Lösung er findet. Und wir haben auch immer wieder die Situation, dass zum Beispiel Kinder jahrelang sich dann zurückziehen, nicht rausgehen und dann fragt man, fragen die Eltern sich ja, was mache ich da, kann ich was machen, muss ich da das Amtsgericht einschalten oder sonst was, es ist ja nichts passiert, es ist nur eine komische Situation, der spielt die ganze Zeit, nur was auch immer ist.
Dr. Rüdiger Hannig
11:10 – 11:48
Das ist ja auch bei Kindern noch besonders schwer, das dann zu sagen. Auch für Angehörige, dass man wirklich dann externe Hilfe braucht. Und dann gibt es immer wieder auch die Diskussion, was passiert, wenn ich da einen extern einschalte. Es kommt dann gegebenenfalls zu Zwangsmaßnahmen. Ist dann noch die Beziehung rettbar zwischen der Person, zwischen dem Kind und dem Elternteil? Will ich das auf mich nehmen, die dann gegebenenfalls gestörte Beziehung? Also das macht dann die Entscheidung sehr schwer. Und da gibt es unterschiedlichste Angehörige.
Conni
11:49 – 12:18
Jetzt haben Sie schon angefangen zu beschreiben, wie Selbsthilfe dann auch hilfreich ist, indem man einfach die Erfahrung teilt und andere kennenlernt. Auch andere Wege, die andere Menschen gegangen sind, so innerlich nachvollzieht und für sich in Erwägung ziehen kann oder verwerfen kann. Das ist ja schon ein großer Vorteil der Selbsthilfe. Gibt es sonst noch Vorteile, die Sie nennen wollen? Oder warum macht es Sinn, in eine Selbsthilfegruppe jetzt zunächst mal zu gehen? Gleich kommen wir noch auf die politische Dimension.
Dr. Rüdiger Hannig
12:19 – 12:53
Ja, also zunächst mal, man ist nicht allein. Man sieht und hört von anderen, dass man mit den Problemen nicht allein dasteht. Also das ist, glaube ich, ein großes, wichtiges Gefühl. In Teilphasen hat man dann doch immer das Gefühl gehabt als Angehöriger, man steht allein da, man wäre was Besonderes und dann erlebt man, das ist nichts Besonderes. Andere Menschen kämpfen auch damit, mit solchen Thematiken. Ich glaube, das ist eine ganz große Erkenntnis und dass man reden kann und dass man gegebenenfalls darüber auch neue Freunde und Bekannte finden kann.
Dr. Rüdiger Hannig
12:55 – 12:59
Das, denke ich, ist auch eine schöne Möglichkeit der Selbsthilfe.
Conni
12:59 – 13:40
Genau, wo man dann auch nicht so viel erklären muss im Grunde, wenn man sich trifft oder man kann mal nicht, weil es eine Notsituation gegeben hat, verstehen die anderen Menschen ja sofort dann aus eigenem Wissen und Erfahren. Ja, und Sie sind ja Vorsitzender des Bundesverbandes. Da haben Sie ja auch viel politische Arbeit, die Sie leisten. Was kann man so als Verband erreichen? Was sind wichtige Anliegen? Also vor dem Hintergrund dieser Nöte, die wir jetzt gerade so erörtert haben. Was wünscht man sich als Angehörige, als Angehöriger vom System? Und was kann man als Selbsthilfeverband da erreichen?
Dr. Rüdiger Hannig
13:42 – 14:23
Ja, was wünschen wir uns als Angehörige vom System? Also das eine ist häufiger Einbezug. Es ist immer wieder auch das Thema im Umfeld mit Betreuung, dass man als Angehöriger abgeschaltet wird und nicht angehört wird, wie es Herr Dörner sagt. Er sagte ja, Angehörige gehören angehört. Und man bleibt mit seinen Informationen, die man im besten Wissen und Gewissen geben möchte, um die Situation des Patienten zu verbessern. Man dringt nicht durch. Man hat das Gefühl, sehr häufig das Gefühl, man ist ausgeschlossen, man ist exkludiert als Angehöriger. Und man ist aber als Angehöriger immer dann dafür da, wenn das System einen Engpass hat.
Dr. Rüdiger Hannig
14:24 – 14:43
Also sei es zum Beispiel nach der Entlassung aus der Klinik, bis ein Psychotherapeut gefunden wird oder Psychotherapeutin gefunden wird, dann sind die Angehörigen gut genug, um die Lebenswelt, den Lebensraum für den Betroffenen zu gestalten und zu gewährleisten.
Conni
14:43 – 14:46
Wenn man überhaupt eine therapeutische Kraft findet, ne?
Dr. Rüdiger Hannig
14:47 – 15:42
Na gut, da kümmern wir uns als Angehörige dann auch teilweise drum, dass die dann überhaupt gefunden wird. Also wir tun dies. Das zweite ist, was wir uns wünschen, dass wir mit unseren Nöten und unserer Last auch einen schnellen Weg finden, dass wir weiterhin gesund bleiben. Das dritte ist, wir wünschen uns, dass wenn wieder Krisensituationen auftreten und vielleicht sogar schon vor der allerersten Krise, dass es einen vernünftigen Krisendienst gibt, der niedrigschwellig und anonym erreichbar ist. Wir schilderten vorhin, dass sich etwas verändert in der Familie. Man weiß es nicht direkt einzuschätzen in dem Umfeld. Und wie gesagt, Familie meine ich nicht nur in Bezug auf Kinder, sondern auch Lebenspartner oder auch Eltern, wenn man erwachsene Eltern hat, also als erwachsener Mensch erwachsene Eltern hat.
Dr. Rüdiger Hannig
15:42 – 16:27
Es verändert sich etwas. Man kommt nicht so richtig … Man kann es nicht richtig einordnen, man liest vielleicht das ein oder andere, wenn man dann solche Quellen hat. An wen wendet man sich dann? Fragt man die Person direkt? Du bist aber komisch wieder, das ist in der letzten Zeit verstärkt. Da kommt man möglicherweise in einen Konflikt hinein, den man nicht haben möchte. fragt man dann andere Angehörige. Dann geht das schnell so in üble Nachrede und so etwas hinein. Was sagst du da? Willst du den nur schlecht machen? fragt man bei Arbeitskollegen oder Vereinsbekannten oder sowas nach.
Dr. Rüdiger Hannig
16:28 – 17:13
Auch da wird es dann schwierig. Ach, das ist mir auch schon aufgefallen. Ist der denn dann krank? Also, es ist da ein sehr, sehr sensibles Pflaster. Und als Angehöriger weiß man dann häufig nicht, an wen man sich wenden könnte. Und das wäre schön, wenn man schon in dieser Vorphase sich anonym irgendwo melden könnte, sich informieren könnte und gegebenenfalls dann Hinweise bekommt, was an weiteren Schritten unternommen werden soll. Dann kommt die Phase gegebenenfalls, wo es selbst nicht nur Schwierigkeiten der Erklärung hat, sondern wo man mit der ganzen Situation nicht mehr klarkommt. Auch da ist es dann schwierig als Angehöriger.
Dr. Rüdiger Hannig
17:13 – 17:59
Wen ruft man an? An wen wendet man sich? Was ist der richtige Kanal? Bevor ich Angehöriger wurde, wusste ich gar nicht, was ein sozialpsychiatrischer Dienst ist und dass der in manchen Bundesländern entsprechend Hilfen organisieren soll, die also Zwangseinweisungen dergleichen verhindern soll. Das wusste ich nicht. Man kennt sich mit diesem System nicht aus. Es ist ein Terra incognita. Die Begrifflichkeiten sind verwirrend. Den Unterschied zwischen einem Psychiater und Psychotherapeuten und einem psychotherapeutischen Psychologen und einem ärztlichen Psychotherapeuten und so was alles herauszubekommen, ist überaus komplex. Sie haben vielleicht an meiner Antwort gemerkt, dass auch ich nicht immer in die letzten Interpretationen genau hinkomme.
Dr. Rüdiger Hannig
18:01 – 18:51
Also an wen wendet man sich, wenn die Situation schwierig wird? Was ist das Richtige? Ist das die 110? Ist das die 112? Ist es die 116, 117? Kann ich als Angehöriger bei der 116, 117 anrufen, wo ich nicht der Betroffene bin, sondern Hilfe brauche? Das wird wahrscheinlich scheitern. Rufe ich an anderen Stellen an als Angehöriger und kriege ich dann die adäquate Hilfe und ist das möglicherweise auch eine Hilfe, die begrenzt ist. Also, wenn die Polizei mit Tatütata ankommt, dann bekommt die ganze Nachtbarschaft, alle bekommen das mit, dann ist das extrem sichtbar. Das ist dann schwierig, auch wieder zurückzudrehen.
Dr. Rüdiger Hannig
18:52 – 19:49
Könnte eine Intervention zum Beispiel niedrigschwelliger ausfallen? Das sind so die Fragen, die sich dann stellen. Und ja, da brauchen wir einfach Unterstützung, also eine niedrigschwellige, gegebenenfalls aufsuchende Hilfe, dass die gegeben sind. Das würden wir uns wünschen. Dann Thema Entlassmanagement als Angehöriger. Der Wunsch ist, dass nicht nur für die Betroffenen das Entlassmanagement mit dem Tag der Aufnahme anfängt, sondern auch für uns Angehörige. Wenn jemand in eine Klinik gegangen ist, hat es vorher Situationen gegangen, die das gesamte familiäre System und zu den Familien zähle ich auch Zugehörige, also Menschen, extrem strapaziert hat und dann ist derjenige in der Klinik und auf einmal steht man alleine da mit all den Problemen, die nicht abgeschlossen sind.
Dr. Rüdiger Hannig
19:50 – 20:26
Und es wäre schön, wenn wir da von Anfang an Unterstützung bekommen, sodass dann der Betroffene, wenn er aus der Klinik zurückkommt, ein Umfeld vorfindet, das nicht kontraproduktiv agiert. Das wäre das Schlechteste, was passiert. Also z.B. wenn ein Süchtiger nach Hause kommt, ihn daran zu erinnern, dass er die Wohnung sehr schön zusammengeschlagen hat und die Schäden ganz erheblich sind, ich glaube, das ist nicht hilfreich. Und so gilt das für andere auch. Die entsprechend gute Aufnahme funktioniert halt nur, wenn wir Angehörige entsprechend vorbereitet sind.
Conni
20:26 – 20:38
Denken Sie da auch an so systemische Gespräche? Ist ja jetzt auch von der Krankenkasse anerkannt als bezahlte Therapie bei gesetzlich Versicherten.
Dr. Rüdiger Hannig
20:39 – 21:13
Da denke ich auch an systemische Therapie, wobei wir Angehörigen nicht in die Ecke geschoben werden wollen, dass wir selbst krank sind. Möglicherweise ist das der Fall. Es gibt Familien, da sind mehrere Personen krank. Aber systemische Therapie sollte nicht bedeuten, dass die Angehörigen krank sind. Und auch bei einer systemischen Therapie sollte man daran denken, dass viele Angehörige halt arbeiten, erwerbstätig sind. Und es ist nicht immer so ganz einfach für Angehörige dann Zeitfenster zu finden, wo sie so eine systemische Therapie durchführen können.
Conni
21:13 – 21:41
Aber es gibt ja auch den Open Dialog, also einfach so Netzwerkgespräche, wo alle einbezogen sind und wo man ja dann auch darum ringt und verhandelt, wie kann so ein Zusammenleben aussehen oder welche anderen Lösungen sind jetzt vielleicht eher angezeigt. Das hat ja wenig mit Diagnosezuweisungen oder sowas zu tun, sondern eigentlich nur, wie können wir denn jetzt hier diese „Kuh vom Eis kriegen“ oder überhaupt irgendwie miteinander umgehen, ohne dass wir alle nochmal wieder neu krank werden.
Dr. Rüdiger Hannig
21:41 – 22:28
Ja, Open Dialog ist ein Ansatz, den ich begrüße. Auf der anderen Seite bedeutet das Offenheit, sowohl von Seiten der Betroffenen als auch der Angehörigen. Und sowohl Angehörige als auch Betroffene wollen das nicht immer. Also da kommen wir dann in die Thematiken der Stigmatisierung hinein. Auch Angehörige fühlen sich stigmatisiert oder werden stigmatisiert. Es wird ihre Leistungsfähigkeit angezweifelt, wenn sie das öffentlich machen. Wenn sie das öffentlich machen, werfen sie auch ein bestimmtes Licht auf die betroffene Person, die das vielleicht nicht will. Also die Offenheit muss dann von beiden Seiten stattfinden. Dann ist Open Dialog ein gutes, könnte eine gute Möglichkeit darstellen.
Conni
22:28 – 22:39
Das wird ja jetzt nicht immer öffentlich gemacht. Also kommt ja nicht in die Zeitung, wenn man dann als Familie, meinetwegen, oder als etwas erweiterter Raum sich da zusammensetzt.
Dr. Rüdiger Hannig
22:40 – 22:57
Ja, das Open Dialog, was ich über Finnland gehört habe, war schon, Arbeitskollegen und so etwas, Nachbarschaft mit einzubinden, was ja in manchen Umfeldern auch der richtige Weg ist. Und dann ist halt die Frage, kann das in irgendeiner Form auch eingegrenzt werden, diese Offenheit?
Conni
22:58 – 23:30
Aber so im Prinzip finden Sie das sinnvoll, solche Gespräche in einem bestimmten Kreis auch zu führen, um einfach Dinge auszuhandeln und zu erfahren voneinander auch nochmal, bevor man was aushandelt. Jetzt haben wir schon so ein paar Themen und Phasen der Erkrankung. Gibt es sonst noch so ein Anliegen, wo Sie sagen, da gehen wir auch als Verband hin. Wir kommen gleich noch mal auf dieses Anliegen, was Sie schon angesprochen haben, dass man niederschwellige Ansprechpartner findet. Aber gibt es noch was, wo Sie sagen, so, da sind wir auch aktiv oder wir haben sogar schon ganz toll was erreicht?
Dr. Rüdiger Hannig
23:32 – 24:21
Also das, was ich jetzt für die nächste Zukunft sehe, ist das Thema Partizipation. Partizipation auch von Angehörigen. Und ich bin mir sicher, dass dieses Thema zunehmend wichtig wird, weil wir in eine verstärkte Ambulantisierung der psychiatrischen Systeme kommen, aber nicht nur der psychiatrischen Systeme, sondern auch anderer Systeme. Also denken Sie nur an das verstärkte ambulante Operieren, was Herr Lauterbach jetzt mit der Klinikreform einführen will. Wir kommen also an eine stärkte Ambulantisierung und im Rahmen dieser Ambulantisierung werden wir Angehörige zunehmend Aufgaben übernehmen müssen, zwangsläufig. Und damit wir das können, brauchen wir Unterstützung und brauchen wir Unterstützungsleistungen, die passgenau für uns entwickelt werden und da müssen wir von Anfang an mitreden.
Dr. Rüdiger Hannig
24:21 – 25:18
Wir brauchen keine Hilfen, worüber dann gedacht wird, das könnte den Angehörigen helfen, sondern wir wollen an der Entwicklung mitmachen. Wir wollen an dieser Entwicklung partizipieren und damit wir an dieser Entwicklung partizipieren können, müssen wir auch auf Augenhöhe gebracht werden. Sie sehen mit mir jetzt einen Rentner, der Zeit hat, zu diesem Interview hinzufahren, hinzureisen, aber das können viele Angehörige nicht, weil sie halt berufstätig sind. Und wenn sie nicht alles im Rahmen von Urlaub, Überstunden nehmen können, dann brauchen wir Angehörige, Personen, unseres Vertrauens, die uns unterstützen und die entsprechend dann auch lang andauernd finanziert werden. Also wir wünschen uns schon eine Institutionalisierung der Angehörigenstrukturen, sodass wir tatsächlich Partner auf Augenhöhe sein können.
Conni
25:18 – 25:18
Also auch Peers?
Dr. Rüdiger Hannig
25:18 – 25:42
Also Angehörigen-Peers, ja, das wäre eine Möglichkeit. Oder halt Berater, die uns beständig zuarbeiten, also dass wir uns da in dieser Form organisieren und dann also auch uns entsprechend in der Politik einbringen können.
Conni
25:44 – 26:02
Also auf diesen beiden Ebenen, genau, einmal persönlich als Peer, der selbst Erfahrung hat mit diesem Angehörigen sein und zuhört und sich die Kümmernisse anhört und ein gutes Feedback gibt und einmal auf der Verbandsebene Interessensvertretung sozusagen als Lobby.
Dr. Rüdiger Hannig
26:02 – 26:58
Als Lobby. Wir verstehen uns da schon als Lobby für die Angehörigen. Wie gesagt, wir werden Aufgaben übernehmen müssen und wenn wir diese Aufgaben übernehmen, brauchen wir Unterstützungssysteme. Sonst wird das nicht funktionieren. Und eines der Unterstützungssysteme, die wir uns vorstellen, sind halt diese niedrigschwelligen aufsuchenden Hilfen im Rahmen von Krisen oder überhaupt Krisen zu vermeiden. Das kann ja auch der Sinn solcher Hilfen zu sein. Und dass man dafür schon dann einen bundesweiten 113 hat, einen Kontaktpunkt, da kann auch eine Internetadresse und ein Chat und alles mögliche dahinter sein, wo man niedrigschwellig anonym zunächst mal anfragen kann, wo aber auch im Zweifelsfall darüber dann die entsprechende Intervention für eine Krise initiiert werden können.
Conni
27:00 – 27:14
Wie soll das aussehen? Also Sie setzen sich ja sehr, das liest man ja gleich, wenn man auf die Seite kommt, 113, das liest man ja überall darunter unter Ihren Briefen und so ist also eine sehr prominente Forderung, die Sie da erheben. Wie könnte das denn funktionieren?
Dr. Rüdiger Hannig
27:16 – 28:13
Also technologisch ist das kein Problem. Die Nummer 113 ist frei. Und wir haben ja ein Beispiel mit Bayern, wo es einen bayernweiten Krisendienst gibt. Die 113 ist einfach ein Ankerpunkt, um zu sagen, es gibt einen zentralen Ansprechpunkt. Technisch ist das machbar. Die entsprechende Kommunikation kann weitergeleitet werden in die jeweilige Örtlichkeit, wo wir ja schon viele Strukturen haben. So haben wir in Schleswig-Holstein in 15 Kreisen 15 sozialpsychiatrische Dienste, die eine 24/7 mobile Bereitschaft haben, um vor Ort zu kommen. Also wir haben solche Strukturen. Es ist halt, in jedem Kreis in Schleswig-Holstein ist halt die Ansprache dieses sozialpsychiatrischen Dienstes unterschiedlich.
Dr. Rüdiger Hannig
28:13 – 28:44
Und das muss man halt wissen und die 113 würde vermeiden, dass man dann, gerade wenn sich eine Krise stärker entwickelt, dann erst im Internet nachgucken muss, es ist der SpDi, was ist überhaupt SpDi, wie erreiche ich den denn? In welchem Kreis bin ich denn gerade? Also wenn ich zum Beispiel Randgebiet Hamburg denke, da ist es ja nicht ganz einfach, wo man sich gerade aufhält, vor allem wenn man nicht da unbedingt immer wohnhaft ist. Also das wird alles durch die 113, würde durch die 113 vermieden werden.
Conni
28:47 – 29:03
Das heißt, man würde da anrufen, entweder als betroffene Person oder als angehörige Person und schildern, was jetzt gerade das Problem ist. Und würde dann direkt da jemand sitzen oder würde man dann quasi weiter verbunden? So ganz kann ich es mir noch nicht vorstellen.
Dr. Rüdiger Hannig
29:03 – 29:57
Ja, bitte nicht weiter verbinden. Also das ist ein scheues Reh. Also wenn man sich als Angehöriger in eine Vorstufe wagt zu sagen, ich habe ein Problem, ich habe gerade Zeit, ich möchte mich da informieren, muss ich mir Sorgen machen oder muss ich mir keine Sorgen machen und so etwas. Wenn es dann heißt: Ja, wie ist Ihre Krankenkassennummer und dergleichen mehr, dann bin ich weg. Das bringt nichts, das macht keinen Sinn. Sondern dass man sofort von jemandem aufgenommen wird, der das entsprechend interpretieren kann und der das Ganze dann lenkt. Also das heißt schon, es müssen hinter dieser 113, ob im Chat oder am Telefon oder gegebenenfalls in einer Videokonferenz halt, muss eine Fachfrau oder ein Fachmann sitzen, der damit richtig umgehen kann.
Conni
29:59 – 30:12
Also für das erste Gespräch ist quasi eine Person und dann kann man gucken, brauchen die weitergehende Hilfen, wo sind die vor Ort? Was kann man da so, dass man das noch, dass das hinterlegt ist mit einer wirklichen Struktur auch?
Dr. Rüdiger Hannig
30:12 – 30:52
Ja, also das ist dann die lokale Struktur. In vielen Fällen haben wir ja die lokalen Strukturen. Wir haben in Berlin je Bezirk einen Krisendienst oder eine Krisennummer. Wir haben das in Hamburg, wir haben das in Schleswig-Holstein. Es gibt in Nordrhein-Westfalen so Ansätze dazu. Es gibt in Bayern einen Krisendienst, der von den Bezirken organisiert wird. Also wir haben in vielen Fällen diese Strukturen. Und wenn sie noch nicht da sind, dann ist halt die Qualität die entsprechende lokale Qualität, die angeboten werden kann. Aber zumindestens kann sie erreicht werden. Wie gut sie dann danach funktioniert, das ist noch ein zweites Thema.
Dr. Rüdiger Hannig
30:52 – 31:39
Aber ich denke, das wird sich dann im Laufe der Jahre ausbilden. Und wir sollen auch nicht vergessen, wir haben ja viele Krisendienste und so was. Wenn Sie sich die ganzen Einrichtungen vorstellen, die haben ja ihre Notfalltelefone, die besetzt sind. Also es sind Ressourcen im System da. Und die Frage ist, können wir diese Ressourcen, die schon im System sind, können wir die optimal nutzen? Und die Ressourcen werden weniger werden und es wird immer wichtiger sein, die Ressourcen, die da sind, richtig zu nutzen. Das geht bis hin zu Krankenwagen und Polizei. Polizei ist normalerweise nichts für eine psychische Krise.
Dr. Rüdiger Hannig
31:39 – 32:05
Ein Krankenwageneinsatz ist auch im Regelfall nichts für eine psychische Krise. Die beschweren sich sogar, dass psychische Krisen sehr zeitaufwendige Einsätze sind, die sehr schwierig sind und das sollte man vermeiden. Diese Ressourcen kann man anderweitig nutzbringender einsetzen, wenn wir dann Krisen gemanagt bekommen über erfahrenes Personal.
Conni
32:06 – 32:28
Sie sagen, dass diese Krisenhilfe auch präventiv wirken kann und eine Verschlimmerung einer Erkrankung oder Krise irgendwie verhindern kann, das frühzeitig auffangen. Heißt das denn dann auch, wenn man da anruft, dass eventuell jemand kommt, eben nicht mit Blaulicht, sondern eben diskreter, aber ben erfahren auch und mit diesem psychiatrischen oder psychotherapeutischen Hintergrund?
Dr. Rüdiger Hannig
32:29 – 33:09
Ja, das heißt es auch. Also zunächst, dass man versucht, die Krise durch Gespräch, dafür andere Lösungen findet im Rahmen des Gesprächs. Also wenn zum Beispiel ein Medikament nicht da ist, dass man denjenigen beruhigt. Viele Krisen brechen ja in der Nacht aus, wenn die betroffene Person auf sich alleine gestellt ist und sich in ihren Gedanken verheddert, wenn die Gedanken kreisen und sich immer weiterentwickeln. Und dann ist es einfach wichtig, einen Gesprächspartner zu finden, der vielleicht eine Viertelstunde, eine halbe Stunde zuhört, mit dem man redet. Mit dem man zu einer vernünftigen Einschätzung kommt, sodass dann die Situation vielleicht am nächsten Tag ganz normal reguliert werden kann.
Dr. Rüdiger Hannig
33:09 – 33:25
Das hätte ja dann schon viel geholfen. Und wenn klar erkennbar ist, dass die Krise weiter eskaliert, dass der Hilfebedarf größer wird, dass dann natürlich auch ein mobiles Team geschickt wird. Und das ist in vielen Bundesländern halt auch möglich. Nicht überall.
Conni
33:25 – 33:39
Nee, genau. Sonst hätten wir ja schon tolle Zustände. Also außer, dass man dann eine einheitliche Nummer hat. Aber diese Verfügbarkeit ist ja längst noch nicht überall gegeben. Deswegen sind ja alle so begeistert von Bayern, die da so Pioniere sind.
Dr. Rüdiger Hannig
33:39 – 33:39
Ja.
Conni
33:43 – 33:47
Also die Struktur müsste schon noch ausgebaut werden, denke ich.
Dr. Rüdiger Hannig
33:47 – 34:37
Ja, aber das ist dann halt die Bundeslandstruktur. Das hängt dann halt davon ab, in welchem Bundesland man sich befindet. Eine Hilfe wäre schon, einfach mal diese Nummer zu haben. Wichtig ist, dass diese Nummer nicht dazu führt, dass andere bestehende, existente Nummern abgeschaltet werden. Das ist ja mein Argument, das gebracht wird. Sondern es ist ein zusätzliches Angebot, das vielleicht im Laufe der Zeit, wenn es immer stärker genutzt wird, auch dazu führen kann, dass man bestehende Nummern abschaltet, weil sie einfach nicht mehr nachgefragt werden. Aber das ist nicht Sinn und Zweck des Prozesses, sondern es ist ein zusätzliches Angebot, das klar bundesweit kommuniziert wird, sodass das wirklich in den Köpfen ist und sodass es wirklich im Moment der Krise präsent ist.
Dr. Rüdiger Hannig
34:37 – 35:23
Wenn Sie in eine Krise geraten, und das ist ja nicht nur die Krise des Betroffenen, sondern dann auch des Angehörigen, dann ist das Denken eingeschränkt. Und dann muss es einfache Lösungen geben, dann muss es eintrainierte Lösungen geben. Die müssen prägnant sein im Kopf. Es hat lange, lange Zeit gedauert, bis es die 110 und die 112 gab in Deutschland. Und sie hat es verändert, sie hat viele andere Nummern, die es vorher auch gab. Jede Polizeiwache hat weiterhin ihre Telefonnummer, aber trotzdem, im Regelfall ruft man, wenn es Not an der Person ist, die 110 an. Und das ist ein langer Lernprozess und nur wenn das wirklich gelernt ist, dann funktioniert das auch.
Dr. Rüdiger Hannig
35:23 – 36:05
Und wenn das entsprechend marketingmäßig in die Bevölkerung reingebracht wird, dann wird das doch tatsächlich genutzt. Und es kommt dann immer wieder als Argument, dass Menschen sowas dann viel nutzen können. Das wird der Fall sein, fragen Sie die Polizei. Bei der 110, die haben ständig bestimmte Anruferinnen und Anrufer. Auch die 112 kennt diese Thematiken. Also, das ist eigentlich ein normales Geschäft, dass manche Menschen dann so etwas missbrauchen. Was heißt missbrauchen? Das ist halt möglicherweise ihr Wesen. Also mag es eine psychische Erkrankung dahinter sein oder was auch immer.
Conni
36:05 – 36:12
Sind Sie denn zuversichtlich, dass Sie das erreichen können mit der Kraft Ihres Verbandes und mit auch vielen Verbündeten, nehme ich an?
Dr. Rüdiger Hannig
36:13 – 36:25
Ja, wir hoffen das. Es ist Bewegung reingekommen. Im Rahmen der Suizidpräventionsstrategie ist die 113 erwähnt worden.
Conni
36:25 – 36:27
Da soll es ja eine eigene Nummer geben.
Dr. Rüdiger Hannig
36:27 – 37:11
Ja, das muss man noch mal schauen, inwieweit wirklich zwei eigene Nummern existieren können. Fakt ist, dass auch eine psychische Krise zu einem Suizid führen kann. Während ein Suizid nicht unbedingt eine psychische Krise darstellt. Also die Gründe für einen Suizid können auch anderer Art sein. Es wird zwar behauptet, dass 90% oder 70% der Suizide aus einer psychischen Krise herkommen. Natürlich wird psychische Erkrankung daraus entstehen. Aber es gibt halt möglicherweise andere Gründe. Es gibt also dort eine hohe Überschneidung. Und von den Kurzfallnummern gibt es eigentlich nur noch zwei, die frei sind. Das ist die 113 und 117.
Dr. Rüdiger Hannig
37:12 – 37:41
Und die Frage ist, inwieweit man beide Nummern in die Bevölkerung bringen kann und ob die Bevölkerung wirklich den Unterschied dann mitbekommt. dass diese Nummer für den Suizid ist und diese Nummer ist für die psychische Krise. Das dürfte nicht ganz einfach sein. Was jedenfalls wichtig ist: Hinter der 113 für die psychische Krise, erwarten wir qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit einer psychischen Krise umgehen können und in die richtigen Bahnen lenkt.
Conni
37:43 – 38:07
Da wünsche ich Ihnen viel Glück, dass Sie das erreichen können. Das ist ein wichtiges Anliegen, was Sie da gerade mit Kraft voranbringen wollen. Gibt es Dinge, wo Sie sagen können, hey, das haben wir schon erreicht und das macht uns auch Mut, irgendwie auf diesem Weg jetzt weiterzugehen? Sei es jetzt auf Landesebene oder auf Bundesebene, wo Sie sagen, das haben wir als Angehörige erreicht, mit anderen zusammen wahrscheinlich?
Dr. Rüdiger Hannig
38:09 – 39:11
Ja, als Angehörige haben wir erreicht, zum Beispiel in manchen Ländern, nicht in allen Ländern, dass wir in Besuchskommissionen sind, für die Menschen, die nicht nach PsychHG eingewiesen worden sind. Wir haben die Möglichkeit, in Arbeitskreisen gemeindenaher Psychiatrie mitzuwirken, zu partizipieren. Wir werden bei Gesetzesvorhaben auf der Landesebene mit eingebunden. Wir haben verschiedene, ich nenne das jetzt mal bürgerliche, partizipative Mitwirkungsmöglichkeiten. Die Schwierigkeit dieser vielen Mitwirkungsmöglichkeiten ist nur die, dass wir Angehörige dazu finden müssen. Und da kommt das Thema halt immer wieder hoch, dass viele Angehörige halt im Erwerbsleben stehen. und wir einen Weg finden müssen, wie Angehörige, die im Erwerbsleben stehen, Chancen der Partizipation bekommen können.
Dr. Rüdiger Hannig
39:11 – 39:55
Das Gleiche ist auf Bundesebene. Der Bundesverband wird an eine Vielzahl von Gesetzgebungswerken mit einbezogen. Wir sind an einer Vielzahl von Gliederungen, die im Vorfeld von Gesetzgebungsverfahren stattfinden, mit eingebunden. Wir sind zum Beispiel – als Erfolg – beim Deutschen Zentrum für psychische Gesundheit können Angehörige und Betroffene in dem Entscheidungsgremium mit Stimmrecht mitwirken und mitbestimmen. Also wir haben die verschiedensten Möglichkeiten und Angebote, die allerdings dann halt überall auch personell besetzt werden müssen.
Conni
39:57 – 40:03
Ich könnte auch eigene Forschung anstoßen, Forschungsfragen nach vorne bringen.
Dr. Rüdiger Hannig
40:03 – 41:12
Es gibt userinitiierte Forschung, zum Beispiel meine Vorstandskollegin Frau Peterweit-Zipfel hat eine Studie, eine Angehörigenbefragung durchgeführt, von der sie immer wieder berichtet oder über die sie immer wieder berichtet. Auch so etwas ist möglich, setzt aber voraus, dass man die auch da, dass man die Ressourcen hat. Und beim Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit versuchen wir auch Angehörigenthemen zu platzieren, weil wir Angehörigen ja der wesentliche Teil der Versorgung sind. Und wenn das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit die Versorgung in Deutschland verbessern soll, die zukünftige Versorgung, ist da die Mitwirkung der Angehörigen zwingend notwendig. Man könnte vielleicht erwähnen, dass es um die Personalrichtlinie der psychiatrischen Kliniken ging, dass wir eine Petition erfolgreich gestartet hatten, die wir vom Bundestagspetitionsausschuss vertreten durften.
Dr. Rüdiger Hannig
41:15 – 42:15
Wir haben dort unter anderem gefordert, dass es eine Enquete oder etwas ähnliches wie eine Bundestags-Enquete wieder geben sollte, die SGB-übergreifend, die psychischen Erkrankungen betrachtet und Lösungswege dafür sucht. Also eine psychische Erkrankung betrifft nicht nur das SGB 5 Gesundheit, sondern eine Vielzahl anderer Sozialgesetzbücher. Und man kann dieses nicht immer isoliert betrachten, sondern man muss das zusammenhängend betrachten. Und vielleicht eines der Ergebnisse daraus ist, dass die Aktion „Psychisch Kranke“ jetzt mit Hilfe des Bundestages einen Dialogprozess hat, der sich mit den Schnittstellen zum SGB 5 beschäftigt. Aber wir würden gerne darüber hinaus, wir wollten das gerne ganzheitlicher betrachtet sehen.
Dr. Rüdiger Hannig
42:15 – 42:32
Und ich glaube, das tut Not. Weil allein die Koordination und die Abstimmung über die unterschiedlichen SGBs derzeit immens viel Ressourcen frisst. Und diese Ressourcen werden wir in der Zukunft nicht mehr zur Verfügung stehen haben.
Conni
42:32 – 42:39
Dann wünsche ich Ihnen weiter viel Glück bei, viel Erfolg und, ja, Herr Hannig, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Rüdiger Hannig
42:39 – 42:41
Ja, vielen Dank, Frau Schäfer.
Julia
42:45 – 43:00
Das war „Unerhört Nah“, der Podcast für Angehörige psychisch erkrankter Menschen. Dies ist ein Projekt des BApK mit Unterstützung der Barmer Krankenkasse. Hört nächstes Mal wieder rein, wenn wir mit Menschen sprechen, die verdammt nah dran sind.