Cover der ersten Folge des Podcasts "unerhört nah", in der sich die Hosts Julia und Nele vorstellen

Wenn man verdammt nah dran ist

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Wir sind Nele und Julia, wir sind die Hosts von „UNERHÖRT NAH“ – und wir sind Angehörige psychisch erkrankter Menschen.

Doch wann wurden wir zu Angehörigen?
Wie sind wir zu der Arbeit gekommen, die wir heute machen?
Wer ist der BApK eigentlich und was haben wir in diesem Podcast vor?

In der ersten Folge reden wir über unsere eigenen Angehörigengeschichten, geben Einblicke in unsere Arbeit und erzählen, welche Geschichten wir im Podcast mit euch teilen möchten.

Weiter unten findest Du einen Themenüberblick (inkl. Zeitstempel) und das Transkript der Folge.

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Falls du direkt zu einem Thema in der Folge springen möchtest:

00:10
Wir sprechen über unsere Erfahrungen und die Motivation, diesen Podcast zu starten.

04:58
Erklärung zum BApK: Was ist der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen und welche Aufgaben hat er?

15:50
Diskussion über die Herausforderungen, die Angehörige ohne offizielle Diagnose der betroffenen Person erleben, und die Wichtigkeit, sich selbst als Angehörige zu definieren.

21:50
Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen: wir teilen unsere persönlichen Erlebnisse und die Vorteile des Austauschs mit anderen Angehörigen.

Transkript der Folge

Nele
00:02 – 00:10
Herzlich willkommen bei unerhört nah, dem Podcast des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Wir, das sind einmal ich, Nele

Julia
00:10 – 00:10
Und ich, Julia

Nele
00:10 – 00:21
sprechen offen mit verschiedenen Gäst:innen über die Erfahrungen und Herausforderungen von Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Erlebt mit uns, was es heißt, unerhört nah dran zu sein.

Julia
00:25 – 00:32
Aber das ist ja vielleicht gar nicht so ein schlechter Anfang. Hi Nele.

Nele
Hi Jule.

Julia
Also erstmal hallo von uns, hallo an die Zuhörenden.

Nele
00:32 – 01:17
Ich würde sagen, wir stellen uns vielleicht einfach mal kurz vor, erzählen ein bisschen was über uns, vielleicht auch über Dinge, die uns jeweils mit der anderen, der jeweils anderen verbinden, über die Zeit, die wir jetzt schon zusammenarbeiten. Zwei Jahre sind es mittlerweile und dieses Podcast-Projekt ist jetzt was ganz Neues. Was wir aber auf jeden Fall gut können, ist uns unterhalten. Oh ja. Im privaten Rahmen, im Arbeitsrahmen, von daher haben wir uns überlegt, wir ziehen das Ganze jetzt einfach mal anders auf im Rahmen eines Podcasts, lassen euch ein bisschen daran teilhaben, werden in den nachfolgenden Folgen, die dann erscheinen, auch verschiedene Gäst:innen einladen, die uns ihre Geschichten erzählen.

Nele
01:18 – 01:45
Also da wird ganz viel, hoffentlich sehr spannender Content auf euch zukommen. Und wir wollen euch jetzt einfach mal so ein bisschen erzählen, wer sind wir? Was ist dieser BApK? Wer oder was steht dahinter? Und was ist eigentlich dieser Begriff Angehörigkeit? Was verbinden wir damit? Fühlen wir uns selbst angehörig? Ja, ist dieser Begriff überhaupt eigentlich noch anwendbar?

Julia
01:45 – 01:55
Ja. Deswegen würde ich auch mal einfach dir direkt die Frage stellen, Nele, wer bist du denn eigentlich?

Nele
01:55 – 02:50
Oh man, ja das frage ich mich sehr, sehr oft, fast jeden Tag. Ja, ich bin Projektreferentin beim BApK, mittlerweile auch seit zwei Jahren und bin auf Umwegen zu dieser Arbeit gekommen. Ich habe selber auch den persönlichen Background, ich sehe mich selbst als Angehörige, da kommen wir jetzt aber etwas später nochmal genauer zu. Und ja, hab einfach ein ganz großes Interesse daran, dieses Thema in der Gesellschaft etwas präsenter zu machen, mehr unter die Leute zu bringen, mehr Aufmerksamkeit dafür zu erregen. Und deshalb mache ich das, was ich mache seit zwei Jahren und bin da auch nach wie vor sehr happy mit und hoffe, dass dieser Podcast das Ganze jetzt vielleicht nochmal auf ein ganz neues Level bringt, was das Thema Öffentlichkeitsarbeit angeht und freue mich, das hier mit dir zusammen zu machen.

Nele
02:50 – 02:53
Liebe Jule, da übergebe ich nochmal kurz an dich.

Julia
02:54 – 04:09
Ja, dann stelle ich mich nochmal vor für die Zuhörenden. Ich bin Jule oder Julia. Ich bin Kommunikationsreferentin beim BAPK, das heißt ich mache ganz viel Öffentlichkeitsarbeit, stecke auch in verschiedenen Projekten irgendwie mit drin und unterstütze eben Nele bei den Projekten der Jungen Selbsthilfe. Da arbeiten wir jetzt auch seit ziemlich genau zwei Jahren zusammen, also ich habe einen Monat nach Nele angefangen. Und haben uns ganz schnell sehr gut auch verstanden, konnten ganz, ganz schnell viel miteinander reden, übers Thema Arbeit, aber auch über die Angehörigkeit und auch alles andere, was in der Welt so geschieht. Aber natürlich, was uns sehr verbindet, ist eben die Arbeit und das Angehörigen-Thema, weil ich selber auch Angehörige bin, also ich bin schon als Kind quasi in diesen Kreis eingeschlossen worden, indem ich Kind eines psychisch erkrankten Menschen bin und habe mich irgendwann dafür sehr engagiert und interessiert und bin so dann irgendwann beim BAPK angestellt worden, wo ich mich sehr, sehr, sehr noch immer darüber freue, auch gerade mit Nele diese Arbeit machen zu dürfen.

Julia
04:09 – – 05:00
Ja, und Wir haben schon festgestellt, so im Vorhinein, wir gehen sehr gerne miteinander spazieren, als die einzigen Personen, die gerne jeweils miteinander spazieren gehen. Also wir sind beide keine großen Spaziergängerinnen, aber miteinander macht das irgendwie Spaß und da besprechen wir eben auch diese ganzen Themen sehr regelmäßig. Und ja, dann hat sich dieses Podcast-Projekt so rauskristallisiert, dass das doch eine gute Idee wäre, weil es auch einfach so ist, dass wir festgestellt haben, dass immer noch viel zu wenig darüber geredet wird, dass Angehörige immer noch viel zu wenig wissen, dass sie auch gewisse Rechte haben, dass sie gewisse Grenzen setzen dürfen und so weiter und so fort. Und genau darum soll es in diesem Podcast gehen.

Nele
05:02 – 05:37
Ja und ich würde sagen, wir starten jetzt nochmal so ein bisschen mit der Arbeit an sich, mit dem BApK. Wer oder was ist der BAPK? Und ja, was fällt da alles noch? Weil mir war zum Beispiel vorher nicht mal klar, dass es einen Verband für Angehörige überhaupt gibt in dem Bereich. Abgesehen davon, dass ich mich selber lange Zeit gar nicht als angehörig wahrgenommen habe, habe ich auch keinen Gedanken daran verschwendet, dass es da wirklich einen ganz großen Interessenverband gibt, der sich für die Belange von Angehörigen einsetzt und interessiert.

Julia
05:40 – 06:23
Dadurch, dass ich viel Verbandsarbeit auch mache, übernehme ich jetzt mal gerade die Vorstellung. Und zwar ist der Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen eben vor allem die Interessensvertretung für angehörige Menschen. Das heißt, wir sind auch wirklich politisch aktiv, auch eben im sozialen Bereich aktiv. Selbsthilfe ist bei uns ein großes Thema, die wir stützen. Projekte im Allgemeinen, die eben Selbsthilfe fördern, die Aufklärungs- und Antistigma-Arbeit betreiben. Alles eben im Bereich der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen. Das machen wir über ganz verschiedene Wege. Und ein Weg davon ist eben zum Beispiel gerade auch die Junge Selbsthilfe, in der Nele und ich eben viel machen.

Julia
06:23 – 07:10
Das heißt, wo wir wirklich einfach auch gerade für junge Angehörige da sind. Aber eben nicht nur. Also ich glaube, in den letzten Jahren, wo wir jetzt da sind, haben wir über Bustour für junge Leute bis hin zu Borderline und Paare mit psychischen Belastungen alles schon gemacht. Und ja, das fällt da quasi alles mit in diesen Verband. Wir als Bundesverband agieren eben auch bundesweit. Das lässt sich da ganz klar noch mal wichtigerweise rausstellen. Wir haben Landesverbände, die wir wiederum vertreten, die in den Bundesländern dann jeweils quasi etwas regionaler aktiv sind. Und die wiederum haben auch wieder einzelne Vereine und Mitglieder und so weiter, die bei ihnen dann aktiv sind.

Julia
07:11 – 07:22
Genau, aber wir bündeln uns eben für den ganzen Bund sozusagen und ja, das ist der BAPK, unser Arbeitgeber.

Nele
07:24 – 08:14
Wir werden uns im Verlauf der nächsten Folgen mit verschiedenen Gäst:innen zu den Themen treffen, die die Gästinnen auch selber vorgeben, sich überlegen, die sich rund um das Thema Angehörigkeit drehen. Und bevor wir damit in den nächsten Folgen wirklich auch ein bisschen weitergehen, wäre es vielleicht ganz gut, sich mal allgemein über das Thema und den Begriff angehörig, Angehörigkeit zu unterhalten. Weil für viele ist es vielleicht auch gar nicht so ganz klar, was bedeutet das eigentlich? Gehöre ich auch dazu? Sind das nur Familienmitglieder? Bin ich auch angehörig, wenn ich Partnerin oder Partner oder Partnerin bin? Oder jemanden im Arbeitsumfeld habe?

Julia
08:15 – 09:02
Da kann ich nur sagen, vom BAPK ist es zumindest so, dass wir sagen, angehörig ist ein sehr weiter Begriff, also angehörig sein, Angehörige, Angehöriger, wie auch immer man das drehen will. Wir zählen da auch zum Beispiel Zugehörige zu, das nennen manche noch als extra Begriff, bei uns zählt das mit in die Angehörigkeit. Wo wir sagen, eben auch Freund:innen, Kolleg:innen, Nachbar:innen und so weiter, die in irgendeiner Form sich in diesen Kreis zählen möchten, zählen können, sind auch für uns definitiv mit Thema. Natürlich ist oft der Fokus viel auf Familie, das ist aber einfach auch dem geschuldet, dass die Familien natürlich sehr nah an diesen Personen dran sind.

Julia
09:02 – 09:42
Das heißt aber natürlich nicht, dass die beste Freundin oder der Kollege, mit dem man sich so gut versteht oder was auch immer, nicht auch quasi mit Thema sein kann. Und das ist uns auch ganz wichtig, das immer zu sagen, weil wir einfach auch glauben, dass Angehörigkeit eigentlich ein komplett gesamtgesellschaftliches Thema ist. Denn wir können uns eigentlich alle nicht davon frei machen, wenn man sich überlegt, wie viele Menschen in Deutschland psychisch erkrankt sind. Ich glaube, jeder dritte erkrankt in seinem Leben an einer psychischen Erkrankung in Deutschland. Das heißt, eigentlich müssen wir ja mindestens alle eine Person kennen, wenn nicht sogar viel mehr.

Julia
09:42 – 10:21
Und entsprechend können wir uns von dem Thema gar nicht freimachen. Und deswegen sagt der BApK, alle, die eben auch angehörig sein wollen, sind es auch. Oder die sich mit dem Begriff in irgendeiner Form identifizieren können. sind das auch und ja das ist aber vielleicht manchmal eben das komplizierte, weil man eben manchmal gar nicht weiß, bin ich angehörig? Liegt das vielleicht daran, dass ich der Person vielleicht gar nicht nah genug stehe? Liegt es auch daran, dass es vielleicht gar keine Diagnose gibt? Oder dass ich gar nicht weiß, ob das, was jetzt bei meiner Familie oder eben im Freundinnenkreis oder so vorliegt, ob das schon eine psychische Erkrankung überhaupt ist.

Julia
10:21 – 10:58
Kann man da schon von einer Diagnose reden oder ist die Person einfach nur ein bisschen komisch? Also sowas alles, das muss quasi auch so ein bisschen mitbedacht werden. Und wie gesagt, deswegen sind wir aber grundsätzlich der Meinung, Angehörigkeit ist ein Thema, was uns irgendwie auch alle angeht und wo sich viele drin wiedererkennen können. Ja, und deswegen ist auch dieser Podcast mit entstanden, weil wir eben einfach dachten, es gibt so wenig Geschichten, die offen erzählt werden, aus allen verschiedenen Ecken und Enden. Angehörige gehen so oft unter. Und daran möchten wir hier nämlich gerne was ändern.

Julia
10:58 – 11:12
Nele, kannst du vielleicht erzählen, was du glaubst, was dieser Podcast Menschen nahebringen kann? Wie wir die Menschen bewegen wollen mit dem, was wir machen?

Nele
11:12 – 11:50
Ich glaube, es ist vor allem sehr heilsam zu hören, dass man nicht allein ist mit diesen Themen, dass man sich in Geschichten wiederfinden kann und dass man dadurch vielleicht auch erstmal erkennt, oh, ich zähle mich zu dieser Gruppe dazu, zu diesen Angehörigen. Ich habe Belastungen, die ernst zu nehmen sind, weil ich höre, dass andere Leute über Belastungen sprechen und diese Belastungen ernst nehmen und sagen, ich muss mich darum kümmern, ich muss für mich sorgen, bevor ich mich überhaupt um andere kümmern kann. Und ich zähle da zu einer Gruppe dazu. Ich darf mich deswegen belastet und schlecht fühlen.

Nele
11:50 – 12:33
Und ich denke, dafür ist es gut, um diese Aufmerksamkeit zu erregen und das Thema einfach ja, mehr herauszustellen, dem mehr Aufmerksamkeit zu geben. Wir haben ja jetzt gerade schon so ein bisschen über die Definition dieses Begriffs auch gesprochen und ich finde, ja, das ist dann auch erst mal so die große Frage. Was bedeutet angehörig? Wie definiere ich das für mich? Ich glaube, das sieht auch jeder Mensch etwas anders. Ich habe mich zum Beispiel, weiß ich nicht, bis vor drei Jahren oder so auch gar nicht als Angehörige von einem Menschen mit einer psychischen Erkrankung bezeichnet, weil ich gar nicht wusste, dass es für mich so eine Art Label gibt.

Nele
12:33 – 13:20
Ich konnte immer nur sagen, ein Familienmitglied von mir ist krank. Ich stehe in dem Verhältnis zu diesem Familienmitglied. Aber dadurch habe ich mir auch, ich sag mal, das ist jetzt vielleicht ein blöder Begriff, nicht so ein Label gegeben. Ein Begriff für die Position, die ich nämlich in diesem Gefüge habe. Ich bin angehörig, zugehörig. Ich stecke da irgendwie mit drin. Ich kann mich davon eigentlich nicht wirklich wegdenken. Und von daher war es für mich persönlich zum Beispiel eigentlich ganz gut, ja, so zu wissen, da gibt es so ein Wort für mich, ein Begriff, den ich mir selbst auferlegen kann und der lässt mich mich auch ernster nehmen.

Nele
13:20 – 13:55
Also mit den Problemen, mit den Gefühlen, die ich habe. Ich gehöre zu einer Gruppe, zu der Gruppe von Angehörigen dazu und kann mich mit denen austauschen, mit denen verbinden. Man versteht sich auf unterschiedlichen Ebenen und ich finde schon, dass so eine Begrifflichkeit auch einfach dieses Selbstbild darin stärken kann. Ich gehöre dazu, ich bin ein Teil davon. Aber es ist eben individuell. Wie ist es für dich, was bedeutet für dich dieser Begriff angehörig oder arbeitest du überhaupt viel mit dem auch im Privatleben?

Julia
13:55 – 14:38
Ich muss sagen, mir ging das ähnlich, dass ich den Begriff für sich ganz lange gar nicht so benutzt habe. Also bei mir ist es eher, ich weiß schon sehr lange, dass ich, also quasi das Gefühl dazu existiert schon sehr lange, dass ich das weiß, dass ich angehörig bin. Aber die konkrete, also dieses konkrete Wording, das hatte ich nicht. Ich habe das irgendwann mit Mitte zwanzig, also jetzt vor, ich würde sagen fünf, sechs, sieben Jahren vielleicht, hab ich das irgendwo dann mal verstanden. Und hab das aber eher auch durch damals schon ehrenamtliche Arbeit, wo ich quasi als so jemand betitelt wurde.

Julia
14:38 – 15:21
Da wurde ich dann angehörig genannt und dann dachte ich, ah okay, dann bin ich angehörig. Weil davor war ich immer nur Kind von. Aber angehörig war für mich irgendwie kein Begriff und damit auch keine Gruppe, die eben zum Beispiel über den BApK, für eine Vertretung quasi, also wo man sich vertreten lassen kann, wo es jemanden gibt, der auch für diese Interessen da ist oder so, das wusste ich einfach nicht. Und deswegen war es für mich eben oft so ein Ding von, ich gehöre schon definitiv zu einer Person, die psychisch belastet ist, davon kann ich mich überhaupt nicht freimachen, aber dass ich jetzt angehörig bin in dem Sinne, das wusste ich eben sehr lange konkret nicht.

Julia
15:21 – 15:26
Ich wusste es… im Inneren, aber nicht mehr.

Nele
15:26 – 15:48
Gab es für dich denn da irgendwie, falls du dich erinnern kannst, einen konkreten Punkt, an dem du für dich festgestellt hast, ich sehe mich als angehörig und zähle mich zu einer Gruppe dazu. Kannst du dich da an irgendeinen Moment erinnern oder war das irgendwie ein Übergang? Hast du das durch die Arbeit oder durch andere Projekte, die du machst, festgestellt? Wie kamst du so dahin?

Julia
15:50 – 16:35
Also wie gesagt, den Angehörigenbegriff, das war wirklich sehr spät, dass ich den so verstanden habe. Ich habe mich sehr lange schon zu den Kindern psychisch erkrankter Menschen gezählt. Also das ist was, das war mir schon sehr früh sehr klar auch. Also ich würde sagen, so im Jugendalter war das schon Thema bei mir. Und auch danach habe ich eben angefangen, mich auch ehrenamtlich in dem Bereich sehr zu engagieren und habe eben immer für die „Kinder von“ gekämpft. Dann kam irgendwann eben auf, in dieser ehrenamtlichen Arbeit, dass ich grundsätzlich als Kind von, als Angehörige gezählt werde. Und das war der Moment, wo ich erst dieses Label begriffen habe, wo ich das so das erste Mal wirklich gehört habe, weil wir alle kennen ja den Begriff angehörig.

Julia
16:35 – 16:41
Also das ist ja jetzt, das ist ein relativ normales Wort, würde ich behaupten. Aber mir war eben nicht so klar, dass es das ist.

Nele
16:43 – 17:00
Das ist interessant, weil du das gerade sagst. Ich habe diesen Begriff natürlich auch schon vorher gehört. Ich habe den aber ehrlich gesagt immer in Verbindung mit Angehörigen gebracht, Angehörigen von verstorbenen Menschen. Die Angehörigen bitten da und davon abzusehen oder so.

Nele
17:01 – 17:05
Weißt du, ich hab das nie wirklich mit diesem Bereich in Verbindung gebracht, sondern mit was ganz anderem.

Julia
17:05 – 17:41
Ich hab das mit körperlichen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Dass man ja so hat, weiß ich nicht, Angehörige von krebskranken Menschen oder wie auch immer. Also das habe ich viel eher gehört. Ich glaube, es geht aber auch darum, weil eben psychische Erkrankungen weiterhin auch noch so ein Tabuthema sind. Also es ist noch immer, man redet nicht so gern darüber oder oft leider nicht. Ich glaube, wir können uns so langsam ausklammern, weil wir immer mutiger werden. Es ist ein schwieriges Thema, auch noch bis heute, weil es eben auch keine greifbare, keine sichtbare Erkrankung ist.

Julia
17:41 – 18:18
Und das, glaub ich, führt noch mal zu einer anderen Form der Belastung. Irgendwie beziehungsweise … Also, überhaupt nicht schlimmer, das kann man nicht sagen. Aber es ist eine … Ja, dadurch, dass die erkrankten Menschen oft damit schon Probleme haben, sind die Angehörigen natürlich auch irgendwie … dadurch mit in diesem Boot und kommen da irgendwie auch nicht so unbedingt raus.
Ja, kannst du denn sagen, wann es für dich so den Punkt gab, wo du das wirklich so konkret, dieses Wort das erste Mal gehört hast oder so, also wo du so wusstest, ah, so ein Aha-Moment, also hattest du den?

Nele
18:18 – 19:25
Ja, tatsächlich erst, als ich vom BApK gehört habe. Sag mal so, Werbung in eigener Sache hier. Vorher habe ich mich nicht mit irgendwelchen Begrifflichkeiten in dem Zusammenhang auseinandergesetzt, sondern für mich war immer nur so ein bisschen klar, ich möchte gerne mal mit Menschen ins Gespräch kommen, die wissen, wovon ich rede, die das Gefühl kennen und ja, mit denen möchte ich mich gerne austauschen. Aber ich habe da jetzt gar kein konkretes Wording oder so im Kopf gehabt und auch nicht danach gesucht, weil ich vielleicht auch nicht davon, wusste und bin dann eigentlich erst so ein bisschen durch Gespräche mit der ein oder anderen Freundin und durch die Arbeit dann so ein bisschen dahingekommen und hab mich dann im Endeffekt eigentlich ziemlich bald dann auch als angehörige gelabelt, weil ich eben auch einen Menschen in meinem sehr nahen Umfeld habe, der erkrankt ist und ich mich in der Beziehung recht lange so ein bisschen in den Schatten gestellt habe

Nele
19:26 – 19:47
und meine eigenen Bedürfnisse, weil es immer sehr viel um diese Betroffenheit ging und um den Menschen dahinter und um die Fürsorge und was kann man hier machen, welche Stellschrauben kann man da noch drehen, damit es der Person wieder besser geht. Also alles rotiert ja immer sehr viel um die Person. Und man macht es ja auch, bis zu einem ganz großen Teil sehr gern.

Nele
19:47 – 20:43
Man kümmert sich ja auch oft gern, je nachdem, was man für ein Verhältnis zu der Person hat. Aber gerade dadurch, wenn man es dann auch gern macht, vergisst man absolut sich selbst dabei und die eigenen Belastungen, die man empfindet. Und dass einem eigentlich genauso auch das Recht zusteht, sich um sich zu kümmern. Es ist unglaublich wichtig, es ist eigentlich die Grundvoraussetzung überhaupt, weiterhin selbst Betroffene unterstützen zu können, musst du als Angehörige dich in erster Linie um dich kümmern. Also das ist etwas, was vielleicht dann auch ein bisschen immer unter den Teppich fällt. Ich glaube, deshalb ist es auch sehr wichtig, dass wir hier drüber sprechen, dass wir verschiedene Gäst:innen einladen und mit denen über diese Themen sprechen, weil man daran auch einfach sehen kann, wie viele auch schon von Kindheit an unter diesen Geschichten gelitten haben, unter diesen Themen.

Nele
20:44 – 21:18
Und jetzt auch zum Teil erst relativ spät, im späten Erwachsenenalter dahin kommen, da überhaupt drüber zu sprechen. Weil es vielleicht vorher tabuisiert wurde, weil die Eltern gesagt haben, du darfst da nicht drüber sprechen oder die Freundinnen gesagt haben, ach, stell dich doch nicht so an oder so. Und man dadurch ganz lange diese Dinge versteckt hat und auch ganz oft der Satz gefallen ist, vielleicht kennst du auch diesen Satz, ja, es geht ja aber nicht um dich dabei, du bist ja nicht erkrankt. Ich muss sagen, zum Glück habe ich das so gut wie gar nicht gehört.

Nele
21:18 – 21:50
Aber es gibt natürlich Menschen, wahrscheinlich werden wir auch Gäst:innen haben, die sagen, ja mit sowas habe ich auch oft Umgang gehabt, dass mir gesagt wurde, es geht nicht um dich dabei, du bist die gesunde Person. Und ich glaube, das ist auch ein großes Thema, weshalb man sich ganz lange gar nicht als wichtige Person, als wichtiges Glied in dieser Kette sieht, das ganz viel leistet für die betroffene Person, weil man selber nicht krank ist. Man ist dabei, man gehört irgendwie dazu.

Nele
21:50 – 22:05
Und ich finde deshalb ist es wichtig, sich eigentlich so eine Art Titelbegriff wie auch immer zu geben, um dadurch auch so ein bisschen die Wichtigkeit herauszustellen, die man selbst in dieser Situation hat.

Julia
22:05 – 22:29
Ja, das ist mir total wichtig. Also mir kam es manchmal so wichtig vor, das für mich zu begreifen, also diese Position, wie Menschen das befreiend finden, eine eigene Diagnose zu bekommen. Also endlich zu verstehen, was denn da los ist quasi, weil davor bist so in so einem in so einem seltsamen, wabernden Zustand so ein bisschen.

Nele
22:29 – 22:38
Kurze Zwischenfrage, du meinst jetzt, für dich als Angehörige war es entlastend, als du mitbekommen hast, dass die Person in deinem Umfeld eine Diagnose hatte?

Julia
22:38 – 23:13
Beziehungsweise ich meine, dass mir sogar geholfen hat, dieses Label angehörig zu haben für mich, weil ich verstanden habe, ich bin Gruppe der Angehörigen. Was du eben auch meintest, man gehört einmal zu einer Gruppe. Aber man hat eben für sich selber auch einen Begriff, wie halt oft für die Erkrankten, die jahrelang, weiß ich nicht, mit einer Depression durch die Gegend laufen und merken mit ihnen ist was vielleicht, sie merken irgendwie, sie sind anders drauf oder so. Und die kriegen ihre Diagnose und wissen dann, ah, okay, das ist es, deswegen bin ich vielleicht anders als andere.

Julia
23:13 – 23:58
Und bei Angehörigen erlebe ich das in einer gewissen Form auch so und habe es auch selber erlebt, dass es manchmal dieses, ah okay zu der Gruppe gehöre ich, und deswegen geht es mir mit gewissen Dingen so, deswegen geht es mir vielleicht manchmal näher, wenn mein Familienmitglied XY macht oder sagt als jetzt anderen. Also wenn ich mich dann auch schon im jüngeren Alter mit Freundinnen oder so verglichen hab, wie die easy mit gewissen Dingen umgehen und ich hab so gemerkt, ich kann das gar nicht so, weil mich bewegen gewisse Dinge oder Themen auf eine ganz andere Art, dann konnte ich das manchmal nicht so ganz greifen, was jetzt bei mir der Punkt ist, der mich von den anderen unterscheidet.

Julia
23:58 – 24:13
Und dieses „angehörig sein“, beziehungsweise eben in meinem Fall das Kind-von-Sein. Dadurch habe ich das begriffen, dass ich gemerkt habe, die anderen Kinder oder andere Angehörige haben ähnliche Themen. Und damit bin ich ja offensichtlich irgendwie nicht alleine.

Nele
24:16 – 25:18
Ich würde gerne noch mal ganz kurz zu diesem Punkt Diagnose zurückkommen. Ich glaube, das ist auch ein tolles Thema, was wir vielleicht noch mal in einer weiteren Folge vertiefen können. Ich glaube, dass eine fehlende Diagnose der betroffenen Person es vielleicht auch schwer macht, sich selbst als angehörig zu bezeichnen. Wenn ich das jetzt mit meiner Situation vergleiche oder auch der von einer anderen bekannten Person in meinem Umfeld. Da liegen keine Diagnosen vor. Das sind keine Menschen, die jetzt in Behandlung waren, die eine Diagnose bekommen haben, die ihnen bestätigt, dass sie psychisch erkrankt sind. Das macht es vielleicht auch nochmal anders, dich als Teil von einer erkrankten Person zu sehen, wenn eigentlich nicht mal wirklich klar ist, ob die Person ist krank, sondern ich denk mir das, ich hab das Gefühl, da ist einfach ganz gewaltig was falsch, da stimmt etwas nicht, dann ist es ja wahrscheinlich noch schwerer, dich als angehörig oder so zu bezeichnen, dachte ich nur gerade weißt du.

Nele
25:19 – 25:31
Es liegt keine Diagnose vor. Ich bin Angehörige von einer psychisch erkrankten Person. Es ist wirklich sehr offensichtlich, dass diese Person erkrankt ist.

Nele
25:32 – 26:09
Die ist gar nicht krankheitseinsichtig. Die ist niemals irgendwie zum Arzt, zur Ärztin gegangen und hat sich da mal checken lassen. Da ist nichts diagnostiziert. Aber ich merke, da stimmt was nicht. Und es belastet mich trotzdem. Und deshalb finde ich, ist es auch an der Stelle ganz wichtig, dass man sich eigenmächtig diesen Begriff der Angehörigkeit auch geben kann. Ich bin Angehörige von einer Person, die psychische Probleme hat, der es auf jeden Fall nicht gut geht, auch wenn da jetzt keine konkrete Diagnose vorliegt. Und ich finde, dann kann man sich das trotzdem rausnehmen zu sagen, ich bin zugehörig, angehörig von einer Person, der es nicht gut geht.

Nele
26:09 – 26:18
Ich weiß nicht, vielleicht kennst du auch einige Menschen in deinem Umfeld oder so durch Bekannte, wo auch keine Diagnose vorliegt und trotzdem leiden die mit Menschen darunter.

Nele
26:19 – 26:24
Und dürfen auch trotzdem sagen, ich leide darunter und ich bezeichne mich als angehörig, auch wenn die betroffene Person gar keine Diagnose hat.

Julia
26:25 – 27:01
Manchmal ist das ja sogar der Anfang, denke ich gerade. Also manchmal wissen ja auch gerade psychisch erkrankte Menschen selber nicht, was mit ihnen vielleicht los ist oder wollen es nicht wahrhaben. Das heißt, da wird es keine Diagnose geben oder gibt es zumindest eine längere Zeit keine, wie auch immer. Und Angehörige müssen ja manchmal dann selber gucken, wo sie bleiben. So ein bisschen. Und manchmal sind es ja auch die Angehörigen, die die ersten Schritte gehen, die sich irgendwo beraten lassen, informieren und sagen, ich glaube diese Person ist in irgendeiner Form psychisch erkrankt.

Julia
27:01 – 27:46
Das heißt, die müssen sich ja selber eigentlich erst mal als Angehörige definieren, selbst wenn sie das Wort nicht haben oder die sich gar nicht so konkret zu der Gruppe direkt zählen. Aber erst daraus kann ja dann auch resultieren, dass sie mit den erkrankten Personen in Kontakt gehen, ob eine Diagnose da ist oder nicht. Das ist ja manchmal echt der erste Schritt. Und deswegen finde ich es aber auch umso wichtiger eben Angehörige zu stärken, weil die eben ein wahnsinnig wichtiges Netzwerk sind. Also einmal natürlich wirklich, wenn die Personen auch Diagnosen haben und so oder auch nicht, egal, aber wenn die auf irgendeine Art Hilfe brauchen, sind ja oft die Angehörigen die allerersten, die da irgendwie dran sind.

Julia
27:46 – 28:39
Also ob das ist nach dem Klinikaufenthalt ist, da muss jemand wieder irgendwo unterkommen, ob das ist, dass man gemeinsam irgendwas an Papierkram regelt, ob das ist, dass die Person nicht gut im Alltag zurechtkommt und Hilfe beim Einkaufen braucht, was auch immer. Das sind ja alles Themen, die Angehörige im Durchschnitt mit regeln. Und eben in vielen Fällen auch gerade der Anfang. Also dass die sich informieren, dass die sagen, hey ich glaube mit dir stimmt was nicht, ich glaube du brauchst Hilfe. Und dass gerade diese Personen dann oft nicht so viel Raum für sich bekommen und nicht so gehört werden, ist halt eigentlich das Traurige, weil nur wenn die ja auch fit sind, also nur wenn Angehörige sich um sich kümmern, kann auch den Betroffenen auf Dauer besser geholfen werden, weil ohne dieses Netzwerk kommen ja auch psychisch erkrankte Menschen nicht weiter.

Julia
28:39 – 28:56
Es ist nicht auszuschließen, aber es ist immer leichter, wenn man auch ein gutes soziales Netzwerk hat, die wiederum im besten Fall selber auch psychisch halbwegs stabil sind, dass sie da auch wirklich Hilfe und Unterstützung leisten können.

Nele
28:57 – 29:27
Stimmt. Das erinnert mich daran, dass man sich zum Beispiel im Flugzeug auch erst die Sauerstoffmaske überziehen soll und danach den Kindern beispielsweise. Nicht, dass man die jetzt auf eine Ebene stellen kann, aber man muss sich erst um sich selbst kümmern, um anderen auch helfen zu können. Das ist ja vielleicht so eine ganz plakative Message, die sich auch dahinter verbirgt. Was ich da persönlich immer sehr hilfreich fand, kannst ja dann gleich auch gerne mal erzählen, ob dir das auch schon so geholfen hat. Ich bin jetzt auch so ein bisschen in diesen Bereich Selbsthilfe auch mal reingegangen.

Nele
29:27 – 30:22
Ich mach das jetzt natürlich auch für den Verband beruflich, aber hab für mich auch selbst gemerkt, dass es unglaublich heilsam und hilfreich ist, sich mit Menschen auszutauschen, die wissen, wovon du sprichst. Im persönlichen Rahmen, also man kann das ja machen, indem man in irgendwelche Gruppen geht für Angehörige. Man kann das natürlich auch online machen oder per Telefon, wie auch immer. Es gibt ja ein recht großes Selbsthilfenetz auch für Angehörige von psychisch erkrankten Menschen in Deutschland. Und ich finde, das ist auch ein wichtiger Aspekt dieser Arbeit, um darauf mehr aufmerksam zu machen, weil das hat mir persönlich echt richtig gut geholfen und hat auch diese Position, in der ich mich sehe, in der ich sagen darf, mir geht es auch mal blöd damit, mich belastet das und ich bin sauer, noch mehr bestärkt, weil andere Menschen ihre Geschichten erzählt haben und ihre Emotionen dazu.

Nele
30:22 – 30:59
Und ich gemerkt habe, ja, der geht es auch so, der Person. Die leidet da genauso drunter. Das kann ja jetzt kein Zufall sein, dass es noch weitere gibt, denen es so geht. Und das, finde ich, stärkt schon auch nochmal in dieser Rolle. Neben dem Aspekt, dass man sich natürlich einfach auch verstanden fühlt, weil die Person genau weiß, wovon sie redet. Also Selbsthilfe ist ein ganz großes Thema, was mir da persönlich sehr geholfen hat. Ich weiß nicht, wann bist du da so hingekommen? Ich muss sagen, wie mit allem anderen auch, in meinem Fall sehr spät. Bist du da schon irgendwie früher mit in Berührung gekommen mit dem Thema Selbsthilfe?

Julia
31:00 – 31:42
Ja, ich bin sogar wirklich früh dahin gekommen, aber das war auch, also da kann ich auch nur meiner Familie sehr dankbar sein, die ganz früh schon verstanden hat, dass ich als Kind in einer solchen Familie vielleicht andere Unterstützung brauche als andere Kinder. Und damals gab es in meiner Heimatstadt wirklich sogar ein Angebot für Kinder von psychisch erkrankten Menschen. Und da bin ich dann hingegangen. Und es war nur eine ganz kleine Gruppe, also wir waren oft nur zu zweit, also es war nicht mal eine Gruppe, aber gemeinsam mit einer Psychotherapeutin, die das Ganze begleitet hat. Und da habe ich eben schon gemerkt, dass Selbsthilfe irgendwie gar nicht so schlecht ist.

Julia
31:42 – 32:20
Also, dass da immerhin ein anderes Mädchen war, was zwar in einer ganz anderen Lebenssituation gesteckt hat, aber immerhin gab es diesen Punkt, dass wir sagen konnten, wir beide haben einen Elternteil, der regelmäßig psychische Krisen durchmacht. Und deswegen wusste ich einfach schon, dass es Selbsthilfe gibt und dass es im besten Fall sogar was bringen kann. Und dann bin ich mit Anfang 20 wieder in Selbsthilfegruppen gegangen. Also da gab es ein paar Jahre Pause zwischendurch. Und hab dann wieder gemerkt, puh, das Thema ist irgendwie gar nicht so durch. Das ist ja auch was, was Angehörige oft haben.

Julia
32:20 – 32:56
Das begleitet einen oft über Jahre, wenn nicht sogar ein Leben lang. Und hab so gemerkt, also es gab Akutsituationen, die mich dazu gebracht haben. Es war aber auch, dass ich einfach gemerkt habe, da schwelen noch so Sachen von vor Jahren, die muss ich vielleicht nochmal mit anderen besprechen. Und zwar nicht auf einer therapeutischen Ebene, also Therapien habe ich auch gemacht, sondern wirklich einfach in einem Austausch und dass ich gerne hören möchte, wie andere mit ähnlichen Lebensgeschichten, mit solchen Situationen umgehen. Und dann bin ich in der Selbsthilfegruppe wieder gewesen, und seitdem bin ich immer wieder in Selbsthilfegruppen gegangen.

Julia
32:57 – 33:40
Also für mich war das sehr, sehr, sehr unterstützend. Die Gruppen, ich mache aber auch ganz viel Selbsthilfe eben genau wie du, also natürlich einmal über unsere Arbeit, auch dieser Podcast ist ja eine Form der Selbsthilfe, also dass wir anderen Angehörigen aufzeigen wollen, wie man mit Dingen umgehen kann, welche Themen einen begleiten können und so weiter, das ist ja auch eine Form der auditiven Selbsthilfe sozusagen. Aber genau, hab ich dann irgendwie auch über andere Projekte versucht, mich selbst zu ermächtigen, weil ich auch finde, Selbsthilfe ist ja auch Empowerment vor allem, also das finde ich immer, dass das ja total viel Kraft geben kann, sich gegenseitig auch zu ermutigen, vielleicht auch nicht ganz so leichte Schritte manchmal zu gehen oder so.

Julia
33:40 – 33:50
Also weil ich weiß nicht, wie es dir ging, sag das doch mal, wie es für dich war, als du das erste Mal in einer Selbsthilfegruppe warst. Also was da so das Gefühl war, als du da zum Beispiel rein oder raus gegangen bist.

Nele
33:51 – 34:33
Ich muss sagen, ich war im Vorhinein ziemlich aufgeregt, bevor ich wusste, ich werde da jetzt das erste Mal sein. Keine Ahnung, was mich erwartet. Wie viele Leute werden da sitzen? Mit welchen Problemen werden die da kommen? Handelt es sich um Elternteile? Handelt es sich um Freundinnen oder so? Ja, was für Menschen werden da sein? Als ich dann aber dort war, fand ich es eigentlich direkt total entspannt. Das könnte natürlich auch daran liegen, dass ich jetzt erst relativ spät, nachdem ich mich schon länger mit diesen Themen auch befasst habe, damit angefangen habe, mit der Selbsthilfe. Also ich kann da mittlerweile wirklich ganz frei und offen in diesen anonymen Gruppen drüber sprechen, vergleiche die Geschichten auch nicht mit anderen.

Nele
34:33 – 35:10
Ich glaube, das ist auch ein wichtiger Punkt, wenn es um Thema Selbsthilfe geht, sowohl bei Betroffenen als auch bei Angehörigen, dass man da nicht denkt, oh ja, hier erzählt gerade Person XY was über die Mutter und oh, ich glaube, das ist ein viel, viel schwererer Fall. Ich glaube, ich sage jetzt lieber doch nichts, weil meine Geschichte ist dagegen glimpflicher abgelaufen oder so. Also da habe ich relativ schnell schon für mich gewusst, ich vergleiche mich da eigentlich nicht. Jede Geschichte ist anders. Man kann trotzdem vom Umgang mit den Betroffenen, vielleicht auch von anderen Personen in dieser Gruppe was lernen.

Nele
35:10 – 35:40
Wie handhaben die das? Man kann vielleicht auch mal ein paar tröstende Worte spenden. Man kann einen Tipp geben. Man muss auch erstmal selber gar nichts sagen. Das fand ich auch sehr entspannt, dass man da erstmal sitzen konnte, um zu gucken, wie ist hier eigentlich so die Stimmung. Ich lasse jetzt erstmal die anderen reden und dann gucke ich, wie die das machen und knüpfe da so ein bisschen an. Ja, ich glaube, so eine Mischung aus allem war es dann bei mir. Ich habe zugehört, ich habe dann recht schnell auch selber meine Geschichte erzählt. Ich glaube, es ging anderthalb Stunden oder so.

Nele
35:40 – 36:35
Wir waren zu dritt oder zu viert und ich hab dann relativ schnell auch so ein Gefühl der Erleichterung gehabt danach. Und dachte mir, ja, das war irgendwie schöner, als da ehrlich gesagt mit einem Großteil meiner Freundinnen drüber zu sprechen.,die natürlich auch da sein können. Ich möchte dieses Unterstützungsnetzwerk da an der Stelle wirklich gar nicht unter den Tisch kehren, weil das ist auch unglaublich wichtig, dass man da einfach Freundschaften hat, die sowas auch auffangen können, auch in vielleicht akuten Situationen, in denen es einem als angehörige Person schlecht geht. Aber es ist schon einfach nochmal was anderes, wenn man sich für so einen festen Zeitraum wie andere Termine auch gelegt sind, so ähnlich ist es ja dann auch in Therapie oder so, sich dann mit Leuten dahinsetzt, über diese Themen spricht und die sind dann einfach aus dem Kopf für den Moment.

Nele
36:35 – 37:05
Die sind dann einmal weg, ich gehe raus, ich kann erst mal überlegen, wie ich damit umgehe. Das hängt jetzt nicht von irgendeiner Krankenkasse oder so ab. Das sind ja oft auch ehrenamtliche Gruppen. Das heißt, es ist auch kein Druck für mich da, um jetzt erst mal zu schauen, muss ich da jetzt noch mal hingehen, sondern ich kann für mich frei überlegen, komme ich wieder, komme ich nicht wieder. Ich muss in den meisten Fällen nicht mal eine Mailadresse aufschreiben. Also kommt natürlich auf die Gruppe an. Aber mir hat dieses Anonyme sehr gut gefallen und dieser offene Raum.

Nele
37:05 – 37:12
Also ich habe da sehr gute Erfahrungen mitgemacht. Danach geht es mir erstmal eigentlich immer besser. Das war meine Erfahrung damit.

Julia
37:13 – 38:06
Ich finde das ist auch wirklich ein Unterschied. Also zum Thema „das mit Freundinnen besprechen“. Also ich habe viele Freundinnen gehabt auch schon immer, die leider schwere Schicksalsschläge hatten. So ist es nicht. Aber ich hatte zumindest, soweit ich damals wusste, keine Freundin, keinen Freund, der auch aus einer Familie mit psychischen Erkrankungen kommt. Also das wusste ich einfach damals schlichtweg nicht. Und das war für mich schon ein Ding, dass ich halt so gemerkt habe, damit war ich immer doch auf so eine Art alleine. Und entsprechend war das für mich, glaube ich, mit das entlastendste Erlebnis in der ganzen Selbsthilfeszene, nenne ich es jetzt mal, also Selbsthilfegruppen, BApK, alle Ehrenämter und Veranstaltungen und sonst was, die ich zu solchen Themen besucht habe die letzten Jahre.

Julia
38:07 – 38:51
Einfach wirklich zu merken, boah, toll. Also ich bin einfach nicht allein. Und natürlich ist das nicht schön zu wissen, dass so viele Menschen, psychisch Erkrankte und so viele Angehörige auch zu großen Teilen irgendwie Probleme damit haben. Also im Sinne von, dass sie belastet sind. Aber es ist toll zu merken, ja, man steht nicht so alleine da und die verstehen einen einfach anders als andere. Also das ist mir irgendwann so aufgefallen, dass wenn ich da irgendeinen Satz gesagt habe, dann haben die den einfach anders verstanden. Also dann kam weder eine Floskel zurück. Also ich habe Freundinnen gehabt, die haben das dann so sehr erhöht quasi oder viel zu klein geredet.

Julia
38:51 – 39:01
Aber auf dieser Ebene wirklich das zu verstehen, wie es ist, das habe ich das Gefühl, können doch die Menschen, die das halt in ihrer eigenen Geschichte auch teilen können, nochmal ganz anders.

Nele
39:05 – 39:44
Da gehe ich komplett mit. Ich habe irgendwann auch aufgehört, mit bestimmten Personen darüber zu sprechen, weil ich auch gemerkt habe, es gibt mir nicht mehr wirklich viel. Ich habe das Gefühl, ich überfordere Leute vielleicht auch damit. Ich habe selten was Neues zu erzählen, weil manchmal auch der Zustand der betroffenen Person sich nicht wirklich verändert. Das bleibt irgendwie blöd. Es ändert sich nicht wirklich was. Und ich kann das jetzt Woche für Woche neu bestimmten Freundinnen erzählen. Die wissen dann vielleicht auch nicht mehr, was sie sagen sollen. Ich will das jetzt aber auch gar nicht so als Fehler darstellen. Das ist natürlich einfach auch bis zu einem gewissen Punkt klar, wenn man sich da nicht so reinfühlen kann.

Nele
39:44 – 40:16
Also ich möchte damit nicht sagen, dass da nicht trotzdem das Beste versucht wird, da zu sein, innerhalb von Freundschaften, in diesen Krisen auch zu unterstützen. Es ist aber wirklich schön, dass man dann noch die Möglichkeit hat, das ganz gezielt mit Leuten in einer Gruppe zu machen, die sich selbst gezwungenermaßen viel mit diesem Thema befassen müssen und die eben genau wissen, wovon sie dann auch sprechen. Also ist natürlich im besten Fall toll, wenn man beides hat. Wenn man sich da ab und zu schon auch mal in Freundschaften austauschen kann, aber auch weiß, ich habe die Gruppe.

Nele
40:17 – 40:25
Da kann ich auch mal was abladen und da kann ich auch Input geben, der auch vielleicht gebraucht wird. Ich kann viel zurückgeben, ich kann viel empfangen und viel geben.

Julia
40:25 – 41:00
Und deswegen nochmal zurück zum jetzigen Projekt hier, zum Thema Podcast nämlich. Ja, das ist ja quasi auch der Grundgedanke, den wir hier so begleitend haben, wenn wir diesen Podcast jetzt starten wollen. Weil wir wissen, dass es auch zum Beispiel gar nicht überall in Deutschland Selbsthilfeangebote gibt für Angehörige psychisch erkrankter Menschen. Oder dass es Leute gibt, die sich noch gar nicht trauen, in eine Gruppe zu gehen. Oder die ihre Gruppe schon seit 20 Jahren kennen. Und da ist es zwar nett, aber da passiert vielleicht gar nicht mehr so viel.

Julia
41:00 – 41:45
Und manchmal braucht man ja nochmal andere Anreize. Und deswegen möchten wir hier eben diese Geschichten erzählen. Also wir möchten mit unseren Gästen Leute einladen, die selber angehörig sind. Das ist ganz, ganz wichtig dabei. Und die erzählen uns ein Stück ihrer Lebensgeschichte. Also was ihre Angehörigkeit sozusagen ausmacht. Das muss gar nicht sein, dass sie uns die Personen berichten, um die es geht. Im Gegenteil, es geht viel eher darum, wie es ihnen in ihrer Rolle geht und was so ihr großes Thema vielleicht damit ist. Das kann sein eine Art von Trauer oder Verlust um den erkrankten Menschen, den man vielleicht vermisst, weil er nicht mehr so ist, wie er mal war.

Julia
41:45 – 42:25
Oder es kann sein, dass man sagt, ich muss irgendwie mehr Grenzen setzen. Ich merke, dass ich da immer wieder an so Punkte komme, da komme ich irgendwie nicht weiter oder was auch immer. Also das lassen wir ganz offen, das besprechen wir dann mit dem jeweiligen Gast, der Gästin, die eben zu Besuch kommen und ja sneaken uns da so ein bisschen in die Leben anderer und unterhalten uns da mit denen drüber, was sie so alles mitgemacht haben, was sie bewegt und beschäftigt und was wir dazu denken und fragen. möchten und können und sind da ganz gespannt, was da so auf uns zukommt, welche Gäste wir haben werden.

Julia
42:25 – 42:35
Wir haben schon ein paar Gespräche führen dürfen, wissen also schon ein bisschen, wer zu Gast kommen wird. Worauf freust du dich am meisten beim Projekt Podcast?

Nele
42:35 – 42:48
Ich bin vor allem sehr gespannt darauf, was für Themen da zutage kommen, die vielleicht auch sehr tabu behaftet sind, die unangenehm sind.

Nele
42:48 – 43:28
Wenn man beispielsweise über Kontaktabbruch spricht oder darüber, dass man vielleicht sogar in gewisser Weise erleichtert war, dass eine Person keine Rolle mehr im Leben gespielt hat, auf welche Weise auch immer. Also wirklich Themen, die ein bisschen extrem sind, weil ich finde, dazu gehört sehr viel Mut, über so etwas dann auch zu sprechen. Und das sind jetzt gerade so die ersten Gedanken, die ich dazu habe, einfach wirklich dabei zu sein, wenn andere Menschen, andere Angehörige sich trauen zu sagen, ja, so geht’s mir, so ging’s mir, wie auch immer, in der und der Situation und das war irgendwie ziemlich beschissen.

Julia
43:29 – 43:30
Ich fand’s gut.

Nele
43:30 – 44:16
Also wirklich dieses gerade raus, einfach in einem Raum mit anderen, die auch in irgendwelchen Angehörigenrollen stecken, einfach mal loslassen zu können und komplett frei Schnauze über diese Themen zu sprechen. Tabuisierte Themen, unangenehme Themen, die vielleicht auch für die Zuhörenden ganz neu sein können. Also da freue ich mich sehr drauf, auf jede einzelne Person, die hier kommt und was zu erzählen hat. Also ich glaube, das wird einfach eine sehr, sehr spannende Zeit und wir können bestimmt auch hier und da noch was dazu lernen als Angehörige und auch über den Begriff der Angehörigkeit, weil den ja, wie wir eingangs auch sagten, jeder Mensch so ein bisschen anders definiert für sich.

Nele
44:16 – 44:47
Vielleicht werden ja auch Leute dabeisitzen, die sagen, also mit dem Begriff kann ich so eigentlich gar nichts anfangen, aber ich kann mit den Definitionen, die ihr hier bringt, was anfangen. Das passt irgendwie zu mir, aber mit den Begriffen will ich nicht so viel zu tun haben. Also da bin ich auch sehr gespannt drauf. Wäre auch eine Frage, die ich immer gerne mal wieder anbringen wollen würde. Wir freuen uns sehr und sind gespannt, wie das Ganze jetzt anläuft. Und ich würde sagen, wir hören uns einfach ganz bald wieder. In diesem Sinne, macht’s gut. Bis bald.

Julia
44:53 – 45:07
Das war „Unerhört Nah“, der Podcast für Angehörige psychisch erkrankter Menschen. Dies ist ein Projekt des BApK mit Unterstützung der Barmer Krankenkasse. Hört nächstes Mal wieder rein, wenn wir mit Menschen sprechen, die verdammt nah dran sind.

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